Stell Dir vor, Du bist eine Ameise und krabbelst die Rinde eines Baumes hoch…
Was siehst Du vor Dir? Ich sehe ein Gebirge. Berge, Täler, Furchen, Rinnen,
eine bucklige, raue Landschaft. Es gibt Löcher und Risse und wenn Du in eines
der Löcher kriechst, wird es dunkel und feucht. Dort fließt der Lebenssaft des Baumes. Das süße Wasser, das er tief aus der Erde zieht, um es bis hoch in seine Spitzen zu saugen. Es duftet harzig nach Wald. Du triffst viele kleine Tierchen, die mit und vom Baum leben. Es wuselt und fuselt auf und in ihm herum.
Alles an ihm lebt und ist in Bewegung.
Jetzt setz Dich auf die Zoomrakete und katapultiere Dich ungefähr vier Meter weg von diesem Baum. Was siehst Du jetzt?
Siehst Du einen Laubbaum? Einen Nadelbaum? Sind die Blätter grün oder herbstlich bunt?
Ist er vielleicht schon kahl? Es ist bald Winter und ich sehe um mich herum kahle Bäume.
Dieser Baum hier ist deshalb vor meinem inneren Auge kahl. Er enthüllt seine bizarre Form durch die Äste, die sich in den grau-weißen Himmel strecken.
Wie Arme hält er sie nach oben und tankt das trübe Novemberlicht, nimmt es auf durch seine dünnen Zweige, durch seine rissige Haut, atmet die kühle Luft und lässt den Wind die allerletzten Blätter losreißen, die noch an ihm haften.
Sie stehen überall diese kahlen Gebilde, am Straßenrand, vor dem Supermarkt, im Park, sie stehen einfach da, ob Du sie bemerkst oder nicht.
Manche sind krumm und schief und strecken die Äste eher zur Seite als nach oben, manche sind schlank, andere ausladend breit in ihrem Wuchs. Doch allen ist eines gemeinsam: Sie strahlen eine friedvolle Stille aus, die man erspüren kann wenn man sie eine Weile ansieht.
Dann wird der Verkehrslärm auf der Straße leiser, und Du nimmst die Form des Baumes in Dich auf, Du beginnst die Stille in Dir zu spüren und gleichzeitig den Wind auf Deiner Haut, die Temperatur der Luft in der Nase, Du spürst auf einmal Deinen eigenen Körper,
Du spürst den Baum in Dir…
Ein Baum ist so unglaublich still…auch wenn der Wind an ihm zerrt und seine Blätter mitnimmt, auch wenn der Regen auf ihn fällt und ihn aufweicht, auch wenn Schnee schwer auf seinen Zweigen liegt, auch wenn die Sonne auf ihn scheint,
Vögel ihre Nester bauen, Spechte ihn zerhacken, Ameisen auf ihm krabbeln,
Holzwürmer und Raupen ihn zerfressen – er ist und bleibt still und friedlich –
selbst wenn ein Blitz ihn zerteilt.
Er nimmt alles wahr, er nimmt alles auf, er nimmt alles hin.
Was glaubst Du, würde Dir geschehen, wenn Du das auch tätest?
Alles wahrnehmen, alles aufnehmen, alles hinnehmen?
Vermutlich würdest Du daran zerbrechen, glaubst Du? Aber sieh mal hin…
was macht der Baum? Er zerbricht nicht, er biegt sich im Sturm, geht mit der Energie des Windes und richtet sich wieder auf, wenn der Aufruhr sich legt.
Im Grunde genommen tut er nichts. Er gibt sich hin und lässt sich sein.
Er beschwert sich nicht beim Wind, dass er zu stark ist, er jammert nicht über den
Regen, der ihn durchnässt, über die Sonne, die ihn austrocknet,
über die Raupen, die seine Blätter fressen und ist trotzdem der Baum, der er sein
soll. Im Herbst lässt er seine Samen fallen und im Frühjahr sprießen neue
Pflanzen, die zu Bäumen werden. In jedem Samenkorn ist der vollständige Baum
schon enthalten. Er muss nichts tun, um zu wachsen, alles was er zu tun hat,
ist einfach nur da zu sein, der Rest geht von selbst.
Du glaubst, das wäre bei Dir anders? Es gibt so viele Dinge in Deinem Leben, die
nicht stimmen? Zu viel Wind, zu viel Regen, zu viel Raupen, die an Dir fressen?
Du müsstest gegen alle kämpfen, um Deine Ruhe zu haben? Vielleicht liegt es
daran, dass Du glaubst etwas anderes zu sein als ein Baum, oder eine Blume,
oder ein Strauch, Gras, Wolken, Wasser, Berge, selbst alle Tiere…
Sie alle machen es nämlich genauso wie der Baum.
Wir sind aber nichts anderes. Und wir können nicht am Gras ziehen.
Alles geschieht, ob Du willst oder nicht, ob es Dir gefällt oder nicht, ob Du kämpfst,
kontrollierst, verurteilst, Dich einbringst, fliehst, versteckst, oder nicht.
Das, was in Deinem Samen angelegt war, wächst und drückt sich aus,
völlig ohne Dein Zutun.
Wir glauben, dass wir zum Wachsen und zum Gedeihen ausschließlich
den Sonnenschein benötigen. Deshalb kämpfen wir gegen alles, was sich nicht
gut anfühlt. Aber letztendlich hilft es nichts. Alles ist da, alles drückt sich aus,
alles darf und soll sein. Der Glaube durch Aktion etwas kontrollieren zu können
ist unser größtes Hindernis auf dem Weg zu uns selbst.
Alles Denken, Grübeln, Sorgen machen, Vorhersehen erschafft nur Dein Leid,
der Widerstand gegen das was ist, lässt Dich zerbrechen.
Lass Dich sein, gib Dich hin, folge der Energie, kämpfe nicht gegen sie an und
alles wird sich entspannen. Werde sanft und weich und fließend wie Wasser,
dann kann sich Dein inneres Wesen ungestört und ungehindert entfalten.
Entdecke die Stille in Dir, lass zu, dass Du zur Ruhe kommst und sieh mal, was geschieht.
Ich würde mich freuen, wenn Du mir Deine Erfahrungen und Gedanken dazu in einem Kommentar hinterlässt.
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