(Am Ende dieses Artikels erwartet Dich das Video – Interview)
Dieter Gurkasch vibriert. Man muss, glaube ich, noch nicht mal
besonders sensibel für die Wahrnehmung von Energien sein, um das zu spüren,
denn bei ihm ist es offensichtlich. Vor mir sitzt ein Mann, der einen Waldbrand
verschluckt hat. Damit meine ich die Ausstrahlung von unbändiger Kraft.
Er ist zum Bersten präsent.
Und da ist noch etwas anderes. Eine unmerkliche Unruhe, ein „auf der
Lauer sein“, wie ein angespanntes Tier, das ganz im Hintergrund zu spüren ist.
Ich stelle mir vor, wie er seit seiner Jugend diese Anspannung in sich trägt, das
Misstrauen darüber, wer ihm wohlgesonnen ist und wer nicht. Und das
tiefe, nagende Gefühl, dass er niemandem vertrauen kann, das alle Gangster
in sich tragen …
Dennoch ist da auch noch etwas Drittes zu spüren – ein kleiner Junge, offen,
herzlich, strahlend, voller Freude darüber, der Welt zu zeigen, was er alles kann
und wer er ist. Da ist etwas weiches, verletzliches, schutzbedürftiges hinter all
der Kraft und der Unruhe.
Er hat einen Menschen ermordet.
Dieter Gurkasch hat einen Menschen ermordet. Er ist dem Opfer mit Stiefeln
auf den Kopf gesprungen. So lange, bis es tot war.
Dafür und für weitere Delikte, saß er 25 Jahre im Gefängnis. Sieben Jahre
davon in Isolationshaft. Er war ein echter Krimineller: Berechnend, aggressiv,
eiskalt und sehr fokussiert.
Wie wird man so? Ist natürlich eine klassische Frage. Und ich bin keine
Freundin von Verallgemeinerungen. Dieter hat sich entschieden. Er hat sich
dafür entschieden der Bösewicht zu sein. Er hatte unbändige Angst davor, den
Schmerz wirklich zu fühlen, nicht so geliebt zu werden, wie er es gebraucht hätte,
damals als jener herzliche, offene Junge, der zu feinsinnig war, um ernst
genommen zu werden, von einer Umgebung, die ganz genau wusste, wie man sich
als Mann verhalten muss, um richtig zu sein und ’n echter Kerl.
„Wenn sie mich schon nicht lieben wollten, sollten sie mich fürchten …“
Ja, so kann das gehen, wenn Kinder nicht gesehen werden. Wenn die Eltern
nicht in der Lage sind, die Kinder frei zu sehen, frei von ihren Vorstellungen
darüber, wie die Welt, das Leben und die Rollen zu sein haben. Und dieses
Unvermögen zieht sich durch alle Millieus.
Yoga? – Eine Gymnastikübung für Mädchen …
Aber wie sollten sie auch, wurden sie doch ebenso wenig gesehen. So
spinnt sich die Kette in alle Ewigkeit fort. Doch nicht so bei Dieter.
Im Gefängnis begegnet ihm Yoga. „Eine Gymnastikübung für Mädchen“,
denkt sich das Raubein, das einzig sein Hass in der Isolationshaft am
Überleben hält, als er sein erstes Yogabuch über die 5 Tibeter durchblättert.
Er versucht es trotzdem und macht in seiner winzigen Zelle, ohne Matte,
die ersten Bewegungen der indischen Meister nach.
Nach zwei Wochen fragen ihn die anderen Insassen nach den Drogen, die er
nehmen würde. Er wirke so relaxed, so entspannt …
Das war der Beginn einer bemerkenswerten Transformation.
Vom Großkriminellen zu einem hochkonzentrierten, sehr genau arbeitenden
Yogalehrer, der das Herz auf der Zunge trägt und die Menschen reihenweise
in Tiefenentspannung versetzen kann.
Wenn einer das Knastleben kennt, dann er …
Er spricht offen, ehrlich und bodenständig über seine Tat, die Hintergründe
und den Wandlungsprozess, den er selbst durchlaufen hat aber auch durch seinen
gegründeten Verein YuMiG ebenso bei anderen Gefängnisinsassen bewirken kann.
Er tritt ein für Yogatherapien in Gefängnissen, um eine fortschrittliche und
wirksame Veränderung in der verkrusteten Haltung der harten Jungs zu bewirken.
Und er hat ein natürliches Talent zum Lehrer, das ist schnell zu spüren.
Er wird ernst genommen, denn wenn einer das Knastleben kennt, dann er.
Dieter Gurkasch polarisiert. Sein Buch „Leben Reloaded“ wird vom Verlag zwar
realisiert, aber nicht im großen Stil beworben. Man will keine Rufschädigung
riskieren. Man fürchtet Beschwerden von Menschen, die darauf bestehen, dass
ein Krimineller immer ein Krimineller bleibt. „So einer ändert sich doch nie!“
Es sind nicht wenige, die so denken. Die Tat wird immer bestehen bleiben.
Die Schuld einen Menschen getötet zu haben ist unauslöschbar.
Doch das Leben schreitet für die Lebenden voran. Und ich frage: Welcher Umgang
mit einer solchen Tat ist besser? Sich verstecken und selbst an der Schwere
der Schuld zugrunde gehen?
Sich verstecken und zugrunde gehen?
Oder anderen dabei zu helfen, die verhärtete Verzweiflung
aufzulösen, die ein Leben mit Gewalt mit sich bringt. Und ihnen beizubringen,
stattdessen die Energien fließen zu lassen und in jene heilsame Kraft zu kommen,
die eine Basis schafft, um aufrecht und liebend durchs Leben
zu gehen, statt flüchtend, hassend und voller Gewalt?
Ich wollte von Dieter wissen, wie man mit der Einsamkeit klar kommt.
Sieben Jahre Isolationshaft, ohne menschliche Nähe, Austausch, Gespräche
und Zuspruch, finde ich grausam.
Wir sprechen über Angst, Liebe, Wut und Zorn. Wir sprechen darüber, was
Yoga bewirken kann und wie Kriminellen geholfen werden kann wieder
„zu sich“ zu kommen.
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