Nahezu jeder Liebe, die ich in meinem Leben hatte, habe ich unterstellt, mich
nicht wirklich zu lieben. Jeder Mann, der mir zu nah kam, durfte das von mir hören. Ich misstraute jedem Liebesausdruck, ich unterstellte wilde Absichten, nur nicht die des einfachen, schlichten Liebesempfindens für mich.
Ich ging davon aus, dass mich niemand lieben konnte. Weil niemand wusste, wie ich wirklich war. Weil ich so, wie ich war, nicht liebenswürdig war, das hatte ich ja schon oft gehört …
Weil jede Liebe einer Forderung gleichkam, einer Beschränkung meines Seins. Weil niemand wüsste, was wirkliche Liebe sei.
Nur ich spürte sie, in meiner nicht enden wollenden Sehnsucht nach ihr. Niemand konnte dieser Liebe je genügen … Ich liebte den anderen dann am meisten, wenn er nicht da war. Ich verwechselte Sehnsucht mit Liebe. Und war er wieder da, ging es von vorne los. Ein endloses Spiel ohne Erkenntnis darin.
Ich fühle doch, dass es so ist!
Meine Gefühle sind mein Tor zur Wahrheit. Dachte ich immer. Ich fühle doch, dass es so ist! So bin ich! Das fühle ich! Ich fühle die Verletzung der Kritik, ich fühle den Schmerz des Verlassenwerdens, ich fühle die Gleichgültigkeit der Ignoranz, ich fühle doch! Ich fühle doch … Ich fühle alles, was ich fühlen kann, ich fühle alles was ich irgendwann mal nicht gefühlt habe, ich fühle die ganze Welt in mir, den Aufruhr, den Wahnsinn, ich fühle den Himmel, die Wolken, die Wut, die Trauer und Angst. Und all das fühle ich als mich selbst. So bin ich! So ist das!
Und ja, genau so fühlt sich das Leben an, wenn man sich für all die Gefühle hält, die man so fühlt. Berauschend, laut, voller eingebildeter Leidenschaft und Unruhe. Eine wilde Party mit garantiertem Kater. Oder ängstlich und zurückgenommen, eng und wertlos … Je nach dem.
Heute war ich im Park. Ich spürte den leichten Wind auf der Haut, ich sah die Rosenbüsche vor mir und die Bewegungen der Blätter an den Bäumen. Ich roch, ich spürte, ich ließ das alles in mich einziehen und musste weinen. Ich war unendlich berührt vom So Sein der Dinge. Der Atem der Blätter, das flirrende Sonnenlicht im Rauschen der Zweige, auf dem dunklen und grellen Grün der Blätterhaut. Sie sind einfach. Sie sind einfach. So. Nichts davor und nichts dahinter.
Die Rosen sind, wie sie sind.
Die Rosen, in ihrer besinnungslosen Zartheit, in ihrem betäubenden Duft, sie stehen einfach da und sind so, wie sie sind. Sie wissen nichts von sich selbst und sind einfach sie selbst.
Früher habe ich nur Rosen gesehen. Blumen eben. Vielleicht mal dran riechen. Abschneiden, in die Vase stellen. Das wars. Mehr bedeuteten sie nicht für mich. Bäume… Bäume waren eben Bäume. Was auch sonst?
Und nun … Durchlässigkeit … Nähe … Einlassen … Ich kann die Dinge sehen. Ich kann sie wirklich reinlassen, ich kann sie wirklich empfinden. Weil es still ist hier drin. Ich habe nicht mehr so viele Gedanken in mir über die Dinge, über mich selbst, über die Welt. Ich bin nicht mehr der Gedanke an Mangel, an Ungenügen, an Falschheit, an Anpassung. Ich muss nicht mehr jemand anderes sein, als ich bin. Ich kann einfach beschreiben, was ist. Und was bin ich nun?
Ein weiter Raum …
Ein weiter Raum, in dem die Dinge Platz finden. Sie entstehen in mir in ihrer einfachen Schönheit. Das Feld ist frei ohne die tausend Gedanken, die mir die Sicht verstellen auf die schönen Rosen und die ewig So-seienden Bäume.
Ich finde meine Gedanken nicht mehr so interessant. Die Gedanken, die um mich kreisen und darüber wie ich wohl bin, woher das wohl kommt, wie die anderen wohl so sind. Was wir denn nur um Himmels Willen machen sollen? Ich fand sie immer unheimlich interessant. Und wichtig. Ich konnte sie gar nicht aufhalten. Das kann mir auch immer noch jeder Zeit passieren, wenn es wieder unbemerkt laut wird, hier drin.
Und das ist nur der eine Teil. Der andere Teil besteht aus Verteidigung, Angriff, Rückzug und Flucht vor den anderen, die mich nicht verstehen.
Niemand kann Gedanken aufhalten.
Der Anspruch verstanden und geliebt zu werden und das Kreisen um mich selbst als verstehbares Objekt. Das sind die Zutaten, um das schöne Leben garantiert zu verpassen.
Niemand kann Gedanken aufhalten. Wie sollte das auch gehen? Wir wissen nicht woher sie kommen und nicht, wohin sie gehen. Wir spüren nur, was sie mit uns machen. Wie sie uns beeindrucken und lenken, wenn wir auf sie reagieren. Wir können nur einzig und allein das Interesse an ihnen verlieren. Immer mehr … Dann sind sie einfach nur da, wie spielende Blätter im Wind. Wie die Gruppe an Leuten, die irgendwo rechts von mir steht und sich unterhält über irgendwas, das mich nicht interessiert.
Ohne den Gedanken daran, dass ich wüsste, was Liebe sei, kann ich lieben. Ich weiß nicht, was die Liebe ist, ich entdecke sie in mir, als das, was sie mir über sich selbst zeigt. Ihr So sein entfaltet sich in mir, wenn ich sie nicht betexte mit meinen Meinungen über sie. Sie richtet sich in mir ein, weil sie merkt, dass sie Platz hat zu sein, wie sie will.
Die Welt ist so laut …
Jetzt kann ich die Rose sehen, das Kind, den Mann, die Frau. Einfach wie sie sind. Jeder hat dieses So sein der Bäume in sich, es ist nur verdeckt von all den Ansichten über die Welt und sich selbst.
Die Welt ist so laut. So grell, so schrill, so fordernd, gnadenlos und verwirrend. Das ist sie, weil sie ein Abbild unserer Gedanken ist. Die meisten Menschen sind Opfer ihrer Gedanken und reagieren auf sie. So kreieren wir gemeinsam das globale sichtbare Feld. Wir halten uns für etwas bestimmtes, das wir verteidigen müssen. Das angegriffen werden kann, verletzt und missverstanden, das geliebt werden will. Wir fühlen es ja so! Also ist das auch so!
Ohne den Gedanken daran, dass ich wüsste, wer ich bin, kann ich ich selbst sein. Dann stelle ich mich ein, als das, was gerade passiert. Und das ist so fließend, wie das Wasser, das den Fluss hinunterrauscht. Weil es einfach sein kann, wenn ich es nicht aufhalte. Und ich halte es mit meinen Gedanken über mich auf. Mit dem Nachdenken darüber, wie der Fluss ein paar Meter oberhalb der Biegung geflossen ist und ob das der Grund sei, warum er jetzt schneller zu fließen scheint …
Alles, was ich kenne, ist schon tot
Wir zerdenken das Leben. Wir leben es nicht. Wir können uns nicht kennen, weil wir nichts sind, das man kennen kann. Nichts, das lebendig ist, könnte erkannt werden, denn dann wäre es schon tot. Könnten wir uns nur fließen lassen und die alten, toten Gedanken alt und tot sein lassen, nichts Spannendes, einfach nur Hintergrundrauschen, vor dem sich eine atemberaubende Kulisse zeigt, die wir noch niemals zuvor gesehen haben!
Eine Schönheit, die plötzlich sichtbar wird in all den Dingen, die schon immer da waren, die wir nur noch nie gesehen haben als das, was sie uns sein können: Ein Wunder mitten unter uns. Ein Wunder mitten in uns.
In Verbundenheit, Nicole
Ich freue mich, dass mein Buch „Neuland. In Resonanz mit dem Leben“, das ich gemeinsam mit Daniel Herbst geschrieben habe, nun im Noumenon Verlag erschienen ist.
Hier findest Du Texte, die genau um dieses unbekannte Leben kreisen. Um die Entdeckung von Neuland, in Dir und mir. Ein Klick auf das Bild und Du kommst zur Bestellmöglichkeit.