Du kannst es sehen, wie Du willst. Du kannst das Leben als etwas betrachten, das so gewöhnlich ist, wie ein Hundehaufen im Park. So unspektakulär. So nicht der Rede wert, außer man hat ihn am Schuh kleben. So einfach, direkt, unmittelbar, wie eine Faust im Gesicht. Genau so schmerzvoll. Und auch wie ein Sonnenaufgang so schön. Der geschieht täglich. Nichts Besonderes also. Und Du hast damit völlig recht. So ist das Leben. Gewöhnlich, da ist nichts Heiliges drin. Es stinkt, es ist laut, es schmeckt süß und bitter. Geburt und Tod liegen darin sehr eng beieinander.
Andererseits kann Dir klar werden, dass das Leben etwas völlig Unglaubliches ist. Allein die Tatsache, dass alles, was Du erlebst, von Dir erlebt wird. In Dir, als Du. Du kannst nichts anderes erleben, als Dich selbst. Alle Informationen, die in Dich einströmen, werden von Deinen Hirnverschaltungen gefiltert und als Dein spezielles Abbild der Realität von Dir vernommen. Du kannst Dir niemals sicher sein, ob die Welt, wie Du sie wahrnimmst, auch tatsächlich so ist.
Es stinkt, es ist laut, es schmeckt süß und bitter
Wenn das noch nicht zum Staunen reicht, dann mach Dir nur mal bewusst, dass Du auf einer Steinkugel stehst oder gerade sitzt, die irgendwo in einem dunklen Universum hängt. Umgeben von weit entfernten Lichtern, deren Ursprung schon lange nicht mehr existiert. Inmitten von Galaxien, deren Größe und Anzahl mit Deiner Gehirnkapazität nicht erfassbar sind.
Und Du glaubst zu wissen, wie die Dinge laufen? Und Du glaubst, dass Du Dich gegen irgendetwas absichern kannst. Ernsthaft?
Was für ein lustiges Spiel!
Ich kann nicht aufhören mich zu wundern, dass sich so viele Menschen, die keine Kinder sind, nicht mehr wundern.
Was muss in der Kindheit oder Jugend alles passieren, damit wir das verlernen? Dieses herrliche Staunen über so etwas wie einen Grashalm, der sich mit voller Kraft und endloser Geduld durch Beton bohrt, zum Beispiel.
Oder ein Eichhörnchen, das flink von Baum zu Baum springt und tut, was Eichhörnchen tun? Wie kann es nur geschehen, dass wir so vernagelt sind, dass wir alles in Zeitabschnitte packen, auf die wir Etiketten kleben: Zeit zu frühstücken. Zeit zu arbeiten. Zeit für Freizeit. Zeit für die Kinder – Qualitytime – Zeit für mich. Zeit zu schlafen… Und darin ist keiner wirklich anwesend.
Spielverderber, wer nicht mitspielt!
Wir hetzen durch Zeitabschnitte. Noch so ein Spiel, das, weil (fast) alle es spielen, so normal ist. Spielverderber, wer nicht mitspielt. So ist doch das System! Niemand kommt hier lebend raus!
Ich gehe durch die Straßen und suche die Blicke der Menschen. Keiner da. Niemand sieht sich um. Keiner nimmt seine Umgebung wahr. Im Café trinken wir Kaffee und unterhalten uns über unsere Probleme. Der Kaffee ist nur Attrappe. Den merken wir gar nicht, egal in wie vielen Geschmacksrichtungen er angeboten wird. Wir reden von unserem Leiden und hören uns doch nicht zu. Sonst müssten wir ja was ändern. Wir fühlen uns verbunden im Leid, wie schlecht doch das Leben ist, wie schwierig.
Warum fühlen wir uns nicht im Staunen verbunden? Oh, ein Spatz! Den zeigen wir der Dreijährigen. Die hat noch Spaß daran! Und weil sie Spaß hat, haben wir auch ein wenig Freude daran. Bis wir uns wieder den wichtigen Themen zuwenden: Kein Geld. Zu wenig Liebe. Scheiß Arbeit. Die tägliche Verzweiflung.
Wir lassen nichts an uns heran. Nichts geschieht direkt. Keine Berührung. Alles ist im Sack. Alles ist schon klar. Wir kennen es schon. So geht’s doch allen… Kein Sinn für die Zartheit der Spatzen.
Wenn Du stirbst, stirbt die Welt
Ich liege nachts wach und lausche meinem Atem. Wenn ich damit aufhöre, hört dieses Leben auf zu existieren. Diese Wahrnehmungsstation löscht ihre Lichter. Und damit stirbt die Welt.
Wenn Du stirbst, stirbt die Welt. Das Universum löscht seine Lichter aus. Du siehst Menschen sterben. Um Dich herum. Aber Du? Glaubst Du wirklich, dass auch Du sterben wirst? Ich glaube nicht, dass Du das wirklich glaubst. Doch es wird geschehen. Auch Deine Lichter werden ausgehen. Eines Tages.
Die Tage vergehen. Es sind Deine Tage. Jeder einzelne Tag.
Ist Dein Tag.
Liebst Du Deine Tage?
Liebst Du sie?
Es ist schön, wenn der Blick klar ist und das Herz auch. Dann ist nichts heilig im Leben und es ist absolut heilig, das Leben. Der Hundehaufen ist ein Ärgernis und auch ein Wunder. Ein Abfallprodukt eines so unwahrscheinlichen Wesens wie ein Hund es ist. Und erst die Regenwürmer! Wie kann man sowas erfinden? Wenn man ihn zerteilt, lebt jeder Teil einfach weiter.
Völlig gegen jede Logik. Ja, klar, ist bei den Regenwürmern eben so …
Es gibt nichts anderes als Dein Leben
Diese Abgeklärtheit, diese Stumpfheit. Wollen wir nicht daraus erwachen? Und mal wirklich hinsehen? Und mal wirklich hin spüren? Ins eigene Leben hinein? Es gibt nämlich nichts anderes.
Das ist so erschreckend und so unglaublich schön. Welch ein Geschenk! Es gibt nichts anderes als Dein Erleben für Dich. Lass Dich von Deinem Verstand nicht aufs Glatteis führen. Niemand sieht, fühlt, schmeckt, riecht und hört, was Du siehst, fühlst, schmeckst und hörst. Niemand. Niemals. Die Welt entsteht in Dir.
Es ist möglich darauf aufmerksam zu werden, dass wir selbst direkt und klar erleben können, was uns hier zur Verfügung steht. Es ist gar nicht so schwer.
Es braucht keine Räucherstäbchen, keine Mantren, keinen Guru, keinen Satsang, keine Spiritualität, keine Esoterik, keine Ashrams, keine Meditationen, kein Yoga, keine Motherdrum, keine Trommeln, keinen Schamanismus, keinen Okkultismus, keine Drogen, keine Dunkelkammer, keinen Darshan, kein Fasten, keine weißen Gewänder, kein heiliges Getue. Das macht alles Spaß, aber es ist nicht nötig.
Dein Leben braucht Dich nicht, aber Du brauchst Dein Leben
Alles, was es braucht, bist Du. Deinen wachen Geist, Dein offenes Herz, Deinen Wunsch Dein Leben so unverstellt wie möglich zu erfahren. Dann siehst Du vielleicht morgens aus dem Fenster und ob es kalt ist oder warm, ob es regnet oder die Sonne scheint, schneit oder stürmt, ist nicht wichtig.
Du ziehst Dir die entsprechende Kleidung an und spürst die Sonne auf Deiner Haut, schmeckst den Schnee auf Deiner Zunge, atmest die kühle Winterluft, betrachtest die unterschiedlichen Schattierungen der Wolken, während Du an der Ampel stehst. Du siehst den bunten Ölfilm in den Pfützen und nimmst die Schritte der Menschen wahr…
Du bist einfach anwesend in Deiner Welt, in Deinem Leben, und entdeckst es auf Schritt und Tritt. Du bist berührbar, empfindsam und siehst wirklich schöne Dinge, die Deinen Tag erfüllen. Du hörst damit auf, Dir selbst Angst zu machen, indem Du Dir schlimme Dinge ausmalst, auf die Du dann angstvoll reagierst. Du hörst auf so zu tun, als wären Deine Vorstellungen das, was wirklich passiert. Du siehst einfach hin, was wirklich passiert, fühlst, was Du wirklich fühlst, und bist bei dem, was Du tust, mit all Deinen Sinnen anwesend.
Diese Anwesenheit ist das ganze Geheimnis purer Lebensfreude. Deine Anwesenheit in diesem unendlichen Augenblick, lässt Dich alles erfahren über das Leben und tiefer und tiefer eindringen in sein Mysterium, das Du selbst bist. Es ist atemberaubend, wie unfassbar es in Wirklichkeit ist. Und inmitten dieses Wunders kannst Du getrost Eis essen gehen. Oder Windeln wechseln, Deine Arbeit machen, abspülen und den Müll rausbringen.
Und völlig erfüllt sein – bis in die Haarspitzen.
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Falls Du beim Anwesendsein doch ein wenig Unterstützung brauchst, bin ich
gerne für Dich da. 🙂
Hier erfährst Du wie.
In Verbundenheit, Nicole