Verliebtheit kann einem das Gefühl geben weit, offen und in Verbindung mit sich selbst und der Welt zu sein. Ich erweitere mich durch Dich. Ich fühle meine Schwere nicht mehr, ich fühle Leichtigkeit und Vitalität. Eine neue Qualität zieht in mein Leben ein, eine neue Hoffnung – vielleicht klappt es diesmal?

Doch was soll da eigentlich klappen?  – Es soll normalerweise das nicht mehr auftauchen, was ich sonst erlebe, wenn ich nicht verliebt bin oder in einer „unglücklichen“ Beziehung.
Oder in einer, in der die Luft raus ist. Oder wenn da gar niemand ist, auf den ich mich „beziehen“ kann.

Verliebt, fühle mich nicht mehr allein. Sobald die Verliebtheit weg ist, werde ich wieder auf mich selbst zurückgeworfen und das vertraute Gefühl schleicht sich wieder ein. Das, was ich so gut kenne.  Und das kann alles sein, nur ganz bestimmt nicht angenehm.

Ohne das positive Angeschwungensein durch einen anderen, fühlt es sich auf Dauer leer und fade an. Ich mag die Gefühle, die ich empfinde, wenn der andere, der mir so gut zu entsprechen scheint,  in meiner Nähe ist. Ist er weg, verschwinden mit ihm nach und nach auch die Vitalität, die Leichtigkeit und das Glück. Ich bin wieder mit mir allein. Mit dem dumpfen, nebulösen Gefühl von Schwere, Angst und Dämmerung.

Es ist nicht leicht zu erkennen, dass alle Gefühle in mir entstehen. Ich fühle immer (nur) mich selbst durch einen anderen. Alles, was ich empfinde, hat direkt mit mir zu tun und sagt etwas über die Art und Weise aus, wie ich zu mir positioniert bin. Es sagt rein gar nichts über den anderen aus.

Diesen Punkt (wirklich) zu verstehen, ist alles entscheidend für mich. Denn es ändert einfach alles. Es ändert die Beziehung zu mir selbst, wie auch die Beziehung zu(m) anderen. Durch dieses Verstehen existieren keine Schuld und keine Forderungen mehr. Und ich komme in die Lage alles zu mir zurückzunehmen was ich fühle und die Hinweise zu lesen, die mir zu erkennen geben, wie nah ich mir selbst bin  – oder wie fern.

Wie weit ich mich von mir wegbewege, um vom anderen etwas zu bekommen, was ich scheinbar ohne ihn nicht empfinden kann. Und bekomme ich es nicht mehr von dem einen, zieht es mich sogleich
zum anderen.

Ja, es kann weh tun, wenn sich Dinge nicht so entwickeln, wie ich es wünsche. Ich kann mich auch lange bei diesem Schmerz aufhalten, der mich im Grunde darüber informiert, dass ich mich selbst über etwas falsch informiert habe, weil ich etwas übersehen habe oder – wollte. Oder weil die Dinge sich einfach so entwickeln, wie sie es tun, weil alle Beteiligten Einflüssen unterworfen sind, die niemand
kontrollieren kann.

Verschwindet die Verliebtheit oder wendet sich der Partner, oder Freund, die Frau oder Freundin ab und jemand anderem zu, ist da Schmerz. Das ist ganz normal. Verlust fühlt sich nie gut an.

Und dennoch ist es heilsam, einfach dabei zu sein. Still daneben zu sitzen, neben all den altbekannten Gefühlen der Unzulänglichkeit, der Sehnsucht, der Schwäche, der Kleinheit und Bedürftigkeit, vor denen wir immer so schnell wegrennen. Bleiben wir bei uns selbst sitzen, wie wir wirklich gerade sind, ohne uns mit Lächeln, Stärke und Überlegenheit zu überschminken, damit niemand unsere Hilflosigkeit sieht (und schon gar nicht wir selbst), dann können wir uns selbst wirklich nah kommen.

Und das ist schön, eine neue Eröffnung, eine neue Möglichkeit, ein neues Gefühl für mich selbst. Eines, das mir etwas von Weichheit und Verletzlichkeit erzählt, von Nähe und Haltlosigkeit. Ich lasse mich fallen in mich selbst. Und fange mich auf.

Ich höre auf, mich gegen die Wirklichkeit in mir zu wehren, um vor mir selbst dazustehen, als hätte ich alles im Griff und als würde ich über Allem stehen. Um nicht fühlen zu müssen, wie unsicher und traurig es sich wirklich anfühlt. Ich habe nämlich Angst darin zu versinken und aus dieser Einsamkeit nicht mehr aufzutauchen. Als einziger Mensch, bloßgestellt vor sich selbst.

Diese Konfrontation kann sehr schmerzhaft sein. Und nur sehr mutige Menschen und sehr verzweifelte Menschen und solche, die nichts mehr zu verlieren haben, stellen sich ihr.

Doch alle, die so weit gegangen sind, finden an einen Ort, den sie nie mehr verlassen wollen. Weil er der einzige Ort ist, der wirklich existiert und an dem wirklich alles „geschieht“. Hier.

Hier wird alles empfunden. Hier, wo ich bin. Hier ist, wo Du bist, wo ich bin, wo alle sind, die „Ich“ sagen.  Hier ist die Möglichkeit es anders zu machen. Eine neue Sichtweise in mich einzulassen, mich nicht mehr gegen meine wirklichen Empfindungen zu wehren, den anderen als das zu erkennen, was er ist: Ein Erlebensfeld, das auf die Einflüsse reagiert, die ihm eingeflüstert sind. Genau so, wie ich selbst.

Ich kann mich immer nur selbst verletzen. Indem ich mich von mir wegbewege und anders sein will, als ich bin. Wenn ich mich zurechtweise, die Zähne zusammenbeiße – „Augen zu und durch!“ , „Stell Dich doch nicht so an!“ Wer erlebt diese Ermahnungen? Immer nur ich selbst. Aber ich spüre nicht, was das bedeutet. Und mache einfach weiter, als hätte sich dadurch jemals etwas in mir „verbessert“.  

Erst das totale Bekenntnis zu mir selbst als das Wesen, das genau so empfindet, wie es das tut, ohne zu wissen warum und ohne es wissen zu wollen, lässt mich hier ankommen. Hierher, wo ich bin. Und ich höre auf dieses Ich einzugrenzen, es kontrollieren zu wollen, ihm Regeln aufzustellen, wie es zu empfinden hat. Ich lasse es einfach in Ruhe und bin bei ihm. Als der Raum, in dem es erscheinen darf, wie es ist. Nur so, kann ich mich wirklich sehen lernen. Wenn ich aufhöre unbeliebte Anteile von mir hinter den Vorhang zu stellen. Sie gehen davon nicht weg.

Selbstliebe, Selbstrespekt, Selbstachtung, Selbstwert … all die großen Worte! Nein. Es ist viel unmittelbarer. Es geht um ein warmes Mitgefühl für mich. Es geht um echte Nähe.

Bis ich mir irgendwann so nah bin, dass nichts anderes mehr existiert als Gefühle und Gedanken, die auf und absteigen, zu Handlungen führen, oder nicht. Wie in einem unendlichen Meer, mit wechselndem Wellengang. Mal auf, mal ab, mal stürmisch, mal still … Da ist niemand mehr, der sich einmischt in dieses Geschehen.

Verliebtheit, Traurigkeit, Schmerz, Angst, Lust, Freude, Liebe, Lebendigkeit, Licht, Inspiration, Verlorenheit, Dunkelheit, Glück, Wille, Kraft, Zuversicht, Wut, Entspannung und so weiter … Alles Empfinden entsteht hier. Ich bin ein Gefühlsmeer ohne Meer zu sein. Ein freies, energetisches Feld, das sich an seiner eigenen Energie erfreuen kann, einfach, weil sie gesehen wird. Ihre Unbestimmtheit, ihre Unvorhersehbarkeit, ihre reine, lichte Bezogenheit auf alles, was hier auftaucht.

Ja. Wir wachsen alle ins Licht des Bewusstseins, das wir sind. Wenn wir uns nicht mehr selbst beschweren und uns vorbehaltlos dem zuneigen, was hier auftaucht.

In Verbundenheit, Nicole

8 Kommentare

  1. Anna unterweger

    Liebe Nicole, du bist eine wahre Meisterin der. Worte. Es liest sich so leicht zu lesen. Es berührt mich im Herzen, da ich es so erlebe. Habe d. Mut gefunden, mich in das Abenteuer meiner Selbst hineinfallen zu lassen. Und kann gut alleinsein mit mir. Es ist so schön. Danke mit einer Herzumarmung.

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    • Nicole Paskow

      Dankeschön Anna, für Deinen schönen Kommentar! Herzlich, Nicole

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  2. Petra

    …dem braucht man nichts hinzuzufügen…
    entweder man spürt die tiefe botschaft zwischen deinen zeilen oder eben (noch) nicht…
    Danke dir
    Petra (Meran/Südtirol)

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    • Nicole Paskow

      Danke für Dein Feedback, Petra 🙂 LG Nicole

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  3. Mathilde

    Genauso ist es – kristallklare Wahrheit – für mich kann es gar nicht anders sein!
    Mir so nah und tief in mir , war ich noch nie !

    Danke für eure Bücher, Texte , Interviews ,Videos , es war Berührung pur,
    Tränen,Schmerz Erkennen,Durchdringen , Eintauchen –
    ganz herzlich , Mathilde

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    • Nicole Paskow

      Wie schön, Mathilde, Dich durch Deine Worte zu spüren! Ganz herzliche Grüße zurück, Nicole

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  4. Patricia

    Ich verliere mich in dir, um mich selbst zu finden.
    Verstecke mich in der Welt, um die Realität in mir zu ent-decken.
    Im Abstand der Worte und hinter dem Lärm , finde ich Stille. Das ist was ich bin.

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    • Nicole Paskow

      🙂

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