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Wir sehnen uns nach nichts mehr als nach innerer Berührung. Sich getroffen fühlen. Sich gemeint fühlen, ganz im Gefühl dieser Berührung aufzugehen. Meist fließen Tränen oder wir spüren den Kloß im Hals, wenn wir berührt sind. Dann schweigt der Verstand für einen Moment und wir werden hilflos. Wir sind aus dem Konzept geraten. Und verletzlich geworden. Und ganz schnell suchen die Gedanken nach einem Halt, einem Wort, einem Satz, der uns wieder in das gewohnte Gefühl der Kontrolle führt. Dann haben wir uns schnell wieder im Griff und lassen uns nichts anmerken. Und doch haben wir es gefühlt. Wir haben die Berührung gespürt und sie war schön. Auch wenn die Angst kam.
Wenn ich genau hinfühle, was in dieser Berührung geschieht, dann merke ich, dass die Zeit darin stehen bleibt. Dann wird der Raum in mir ganz eingenommen von diesem Getroffensein. Es fließt aus mir heraus, in mich hinein und erfüllt mich. Ich bin ganz da. Ohne Gedanken darin. Zumindest so lange ich aus dem „Konzept“ bin. Bis die Gedanken wieder zu sich finden und die üblichen, vertrauten Wege beschreiten.
Damit darf die Berührung in mir nur anklingen, aber sie darf nicht auf ihre natürliche Weise verklingen. Weil unser System so sehr auf „Sicherheit“ aus ist, dass es diese aufkommende Verletzlichkeit als Gefahr einstuft und sofort nach Strategien sucht, diese Gefahr zu bannen. Dann fühlen wir uns, zum Beispiel, peinlich berührt, wenn uns ein anderer Mensch ehrlich sagt, was er fühlt. Wenn er Gefühl zeigt und uns seine Hilflosigkeit, Empfindsamkeit und Einfachheit präsentiert. Wir „wissen“ nicht, wie wir damit umgehen sollen, weil wir nicht wissen, wie wir selbst fühlen. Das lassen wir ja nicht zu.
Unsicherheit statt Scheinharmonie …
Wir haben Konzepte davon, welches Verhalten angebracht ist und uns in einem gemeinsamen Feld der Scheinharmonie hält, in der wir uns nicht berühren müssen, um nicht in Gefahr zu geraten in unbekannte Gebiete vorzudringen, in denen wir uns unsicher fühlen könnten. Denn Unsicherheit wollen wir unbedingt vermeiden. Hier wirkt das Kindheitstrauma, das uns vor der frühen Systemüberflutung bewahrt hat. Einer Gefühlsüberflutung, der wir nicht hätten standhalten können. Und so bleiben wir miteinander an der sicheren Oberfläche, wo uns nichts passieren kann – weder positiv noch negativ. Wir nennen das Normalität.
Diese Normalität hindert uns jedoch daran zu fühlen, wer wir wirklich sind, uns auf das Leben einzulassen, ohne es bereits zu kennen, uns auf Menschen einzulassen, ohne Idee davon, wohin das führen wird, ohne vorauszudenken, was das Ergebnis davon sein könnte … ohne Halt und doppelten Boden. Sie schützt uns sehr gut vor unserer Lebendigkeit …
Der Zirkus um das Erwachen
Es wird ein riesiges Brimborium um Erwachen und Erleuchtung gemacht. Genauso wie ein riesiges Theater um Buddha und um Jesus gemacht wurde. Heute heißen sie einfach anders. Die großen Gurus. Die Frage ist dabei: Wer macht dieses Theater, wer veranstaltet einen niemals enden wollenden Zirkus, um die immer gleichen Fragen? Niemand anderes als der Verstand.
Wir können die Einfachheit und Tiefe von Erwachen nicht „verstehen“, weil wir Verstand sind. Verstand ist schlicht der Sammelbegriff für problemorientierte Gedanken. Der Verstand ist es, der sich dagegen wehrt zu schweigen. Weil es seine Natur ist nicht zu schweigen. Weil es seine Natur ist zu denken – also Gedanken aneinanderzureihen, deren Klebstoff unsere Aufmerksamkeit ist. Deshalb müssen wir verstehen, und das kann der Verstand sehr wohl: dass wir lernen müssen innerlich zu schweigen. Dann ist da nur Aufmerksamkeit ohne Gedanken. Ein ganz neues Erleben.
Der endlose Gedankenkreisel
Wir drehen uns endlos im Kreis unserer Gedanken. Dieses Kreisen ist nur deshalb so stark, weil unsere Aufmerksamkeit daran gebunden ist. Sie ist gebunden, weil wir tief in uns an den Sinn dieser Aktivität glauben. Dieser Glaube ist so unerschütterlich, dass wir unser ganzes Leben denkend verbringen können, und nicht mitbekommen, wie hoffnungslos wir in unserem eigenen Labyrinth gefangen sind.
Je stärker unsere Aufmerksamkeit in Gedankenspiralen gebunden ist, um so wichtiger finden wir unsere Gedanken, um so mehr Spaß haben wir daran und um so weniger wollen wir dieses, oft unbewusste Vergnügen, hergeben. Obwohl wir die meiste Zeit unter unseren Gedanken leiden.
Wir weigern uns innerlich zu schweigen und bekommen die Verweigerung nicht mit. Wir glauben, dass es ein erreichbares Mysterium gibt, wenn wir endlich verstehen, wie die Weisheitslehren gemeint sind. Und verstehen können wir wirklich viel, kapieren dadurch aber gar nichts.
Die Gurus lachen sich kaputt und braten uns eins mit dem Zenstock über. Das können wir dann fühlen. Denn genau darum geht es. Darum, zu fühlen, wenn der Verstand hyperaktiv und dominant ist. Was er, so gut wie überall, auf dieser Erde ist.
Leben ohne Interpretation und Analyse
Zu seinem Selbst erwachen heißt nichts anderes als Hiersein. Wirklich hier sein. Vollständig bei dem, was Du gerade tust. Unabgelenkt, mit voller Aufmerksamkeit bei Dir und dem, was da gerade ist. Berührbar, einfach, so, wie Du Deinem Wesen nach bist. Ohne gestrige oder morgige Gedanken dazwischen. Ohne zu vergleichen, gedanklich zu verknüpfen, zu interpretieren und zu analysieren, was da gerade vor Dir und in Dir abläuft und dann auf die Ergebnisse Deiner Interpretationen zu reagieren.
Das ist viel zu einfach und viel zu billig für den Verstand. Der will es lieber kompliziert, damit er beschäftigt bleibt und seinen Sinn nicht verliert. Weil er einfach nicht vertrauen kann. Darauf vertrauen, dass er noch gefragt sein wird, wenn er nicht mehr alles dominiert. Denn das Vertrauen kommt ganz woanders her. Es kommt aus dem Hiersein. Aus dem Spüren, aus der Bewusstheit Deiner Körperlichkeit.
Wenn Du Dir erlaubst hier zu sein und Deinem Verstand eine große Pause verordnest, dann beginnst Du Dich ganz anders auf das einzulassen, was Dir begegnet. Dann dehnen sich die Momente Deines Tages aus und fließen in Dich ein. Du fühlst Dich erfüllt von dem was Du tust. Und aus diesem Erfülltsein kommen Dir ganz neue Ideen und Gedanken, die jetzt wirklich aus Dir selbst heraus kommen und nicht aus einer bekannten Vorstellungswelt. Du machst wirkliche Erfahrungen. Und aus ihnen steigt Dein Selbstgefühl auf.
Echt küssen, nicht mehr davon träumen
Das ist in Etwa so, als würdest Du hingegeben und leidenschaftlich küssen, wo Du zuvor nur davon geträumt hast, wie das sein wird. Und aus dem echten Kuss heraus fühlst Du, was Du empfindest und musst nicht mehr darüber nachdenken, was Du eigentlich wirklich fühlst …
Hier kannst Du natürlich auch zum ersten Mal empfinden, dass Dir das, was Du so oft tust, gar nicht behagt. Wenn Du anfängst Deinen Kaffee ganz langsam und bewusst zu trinken, ihm Deine volle Aufmerksamkeit schenkst, kannst Du bemerken, dass er Dir in Wirklichkeit überhaupt nicht schmeckt und Du nur etwas aus Gewohnheit tust. Oder Du kannst bemerken, dass er fantastisch schmeckt und Du das normalerweise nicht mitbekommst. Dann kannst Du endlich aufhören Kaffee zu trinken, oder anfangen ihn zu genießen … Hier beginnt die echte Selbstermächtigung. Im Bewusstsein einer echten Erfahrung.
Nur so kommst Du zu Dir. Du musst bereit sein zu fühlen, nicht zu wissen, berührbar zu sein, hilflos, nackt, das übliche Gedankennetz fallen zu lassen und Dich Dir selbst auszuliefern.
Das ist, was Du zu tun hast. Das ist, was Du nicht kannst. Weil Du Verstand bist, der jetzt schon glaubt zu wissen, wie das ist. Und lieber den nächsten Text liest, in der Hoffnung etwas wirklich Neues zu finden, was er verstehen kann, ohne sich selbst zum Schweigen bringen zu müssen …
Hier beginnt Konzeptlosigkeit – hier beginnt Freiheit
Sich auf den Atem einzulassen, sich selbst in körperlicher Präsenz zu fühlen, das Gegenüber kommentarlos wahrzunehmen, zu lauschen, zu ertasten und fühlen, was aus Deinem Inneren aufsteigt und einfach nur Raum dafür zu sein, ohne in es einzugreifen …
Hast Du Lust auf eine ganz neue Welt? Hier beginnt Konzeptlosigkeit. Die ersten Schritte in die Freiheit einfach nur zu sein. Und aus diesem Sein heraus zu leben. Weil es nichts anderes braucht, als Deine vollständige Anwesenheit, um Dein Licht anzuschalten. Ein Licht, dessen Strahlen, dessen Stärke und Unermesslichkeit für alles Begreifenwollen auf ewig
unerreichbar ist.
In Verbundenheit, Nicole
Wenn Dich der Artikel inspiriert hat, freue ich mich sehr über den Ausdruck Deiner Wertschätzung mittels einer Spende. Vielen Dank!
Lieber Edwin, danke für Deinen Beitrag! Ja, wer will schon außerhalb des Mainstreams stehen?
Das ist genau die Schlüsselfrage. Auf die trifft man früher oder später, wenn man auf diesem Weg ist.
Darin liegt letztlich die ganze Bereitschaft. Was will ich? Will ich es kuschlig haben und
da bleiben, wo ich bin, dann beschäftige ich mich gar nicht mit tiefergehenden Fragen und bin genau
richtig da, wo ich bin. Wenn ich aber zu mir selbst finden will und diese Existenz in ihrer, für mich,
höchstmöglichen Vollheit erfahren will, dann gehe ich bis zum äußersten. Und das bedeutet eben
für mich allein zu stehen. Und herauszufinden, was das tatsächlich bedeutet. Auch zu erkennen, dass ich
versuche schon vorher zu wissen, was passiert, indem ich es mir vorstelle und dann meistens Ängste dagegen entwickle. Das ist
ja Aufgabe des Verstandes, Probleme zu suchen und Lösungen zu finden. Und wenn er Alleinherrscher in
meinem Haus ist, erfahre ich immer nur das vom Leben und damit mir selbst, was „er“ zulässt. Und das ist
bei weitem nicht alles. Das ist alles, was es zu verstehen gilt, um die Möglichkeit zu haben, „hinter“
den Verstand zu blicken und diese Sicht zu weiten …
Schön, dass Du dahin gefunden hast!
Herzlich, Nicole