
Verzweiflung- ein Gedanke ohne Licht anhören
Sich des Bewusstseins immer deutlicher bewusst zu werden erschafft eine vollkommen neue Erfahrungswelt. Da, wo ich vorher verlassen war, wo eine Ansammlung von speziellen Gedanken Auslöser für überwältigende Gefühle waren, die mich in tiefste Dunkelheit stürzen konnten, ist jetzt eine Anwesenheit, die mich stützt und trägt.
Doch was heißt „mich“? Wer ist dieses Ich, das getragen werden muss, das gestützt werden muss? Es ist wie eine dunkle Wolke, die sich erst in der Nähe von Licht als dunkel und wolkenhaft erkennt. Es ist das Licht, das die Begrenzung der Dunkelheit sichtbar macht. Es ist das Licht, Bewusstsein selbst, das mich erkennen lässt, wie lediglich eine Ansammlung oder Aufeinanderfolge von speziellen Gedanken ursächlich für jene Gefühle der Verzweiflung ist. Ganz genau so, wie für das Ichgefühl auch.
Diese Ansammlung von Gedanken hat, bei genauem Hinsehen, keine Substanz. Das wird im Licht von Bewusstsein deutlich. Ohne Bewusstsein sind Einsamkeit, Isolation und Verlassenheit vollkommen real und fordern ihren Tribut. In der Dunkelheit stoße ich mich an dunklen Gedanken, die so hart und schmerzhaft sind, wie ein ungesehener Stuhl oder ein Tisch, über den ich falle, weil ich ihn nicht sehe.
In der Isolationshaft der Gedanken
Bewusstsein selbst erhellt den Raum und macht deutlich, was darin erscheint: Gedanken, für die ich mich halte, weil sie mich als anwesendes, offenes Bewusstsein vollständig absorbieren. Je mehr Glaubensgewicht sie in sich tragen, umso unausweichlicher ist die Überwältigung. Dann bin ich wirklich allein, unverstanden und verloren. Das Gefühl ist deutlich spürbar und überwältigend. Ich, Bewusstsein, habe hier keine Chance. Ich sitze in der Isolationshaft der engsten Gedanken über mich.
Bewusstsein heißt – ich nehme wahr. Je klarer es in Erscheinung tritt, umso leichter nimmt es sich selbst als wahr-haftige Ichheit wahr. Als erste Erfahrungswirklichkeit. Wahrnehmung selbst wird für sich wahrnehmbar. Das ist die Verschiebung, die stattfindet. Wo zuvor das Wahrgenommene im Vordergrund stand, ja als einzig existent erfahren wurde, betritt nun Wahrnehmung selbst die Bühne der Aufmerksamkeit.
Und was geschieht, wenn sich Aufmerksamkeit plötzlich auf sich selbst richtet? Was geschieht, wenn der Fernseher kaputt geht, das Bild verschwindet, aber das Auge immer noch sieht? Ein großes, schönes Staunen. Ein Staunen über die Weite, die sich auftut. Die Offenheit, die sich in Grenzenlosigkeit ausdehnt. Was ist denn das – Aufmerksamkeit? Und hier bleibt die Antwort aus. Sie muss geradezu ausbleiben. Denn wie könnte sie Etwas sein?
Wahrnehmung selbst ist glücklich
Sie kann sich nur auf etwas richten, doch sie selbst ist nichts, worüber etwas gesagt werden könnte, denn sie deutet lediglich auf das, was wahrnimmt.
Du bist es, der oder die Deine Gedanken und Gefühle wahrnimmt. Du, Bewusstsein. Du bist so leicht, so transparent, so unsichtbar, dass Du Dich bisher immer übersehen musstest. Alles andere in Dir war zu laut. Zu sehr „Etwas“. Zu sehr Traurigkeit, Einsamkeit, Verlorenheit. Zu wenig in der Lage es zu durchschauen als begrenzte Wahrnehmung dessen, was Du in Wirklichkeit bist: Wahrnehmung selbst.
Warum ist Wahrnehmung selbst glücklich? Weil sie so leicht ist, dass sie nur durch das Wahrgenommene sichtbar wird. Sie ist leichter als Schmetterlinge, leichter als Sonnenstrahlen, leichter als der Wind. Es gibt einfach nichts, das sie beschwert. Es gibt nichts, das sie festhält, nichts, das sie ansammelt. Wahrnehmung ist einfach. Und jetzt schau mal, ob es etwas anderes gibt, als Wahrnehmung selbst.
Ich bin, was ich wahrnehme
Ich, Wahrnehmung, kann nichts, außer mich selbst in Form aller Erscheinungen in mir erkennen. Ich kann mir meiner selbst bewusst werden, und doch erfahre ich mich immer nur durch das, was in mir auftaucht.
Hier wird deutlich, dass ich bin, was ich wahrnehme. Ich bin der Baum, die Straße, der Krümel auf dem Tisch. Ich bin das Gefühl der Traurigkeit, der Freude, des Staunens. Ich bin Angst, Unschuld und Geiz. Und alles andere, was hier, wo ich bin, erfahrbar ist.
Und gleichzeitig bin ich unbeschreibbar. Weil nichts über mich ausgesagt werden kann, was wahrnehmbar ist. Und ohne etwas, das sich wahrnehmen lässt, kann schlicht nichts gesagt werden.
Das Ende der Einsamkeit
Hier liegt das Mysterium verborgen, die Quelle, der alles Wahrnehmbare entspringt. So einfach zugänglich, so unfassbar und überwältigend schön.
Ja. Es gibt die Dunkelheit. Es gibt die Depression, die Einsamkeit, die Isolation, die als endlos empfundene Traurigkeit. Es gibt sie sehr direkt und fühlbar. So lange Du Dich nicht als die Wahrnehmung dessen erkennst. Doch wenn das geschieht und wenn das mehr und mehr „ankommen“ darf, ist es vorbei mit der Einsamkeit.
Denn dann findest Du immer wieder zu DIR zurück. Dann wird Dir immer wieder deutlich, dass all das Dunkle in Dir erscheint. Weil Du das Licht bist, das alles erhellt. Ganz einfach, ohne Hokuspokus und Heiligenschein. Ohne Lametta und schwarzer Robe. Ohne Askese, Meditation oder Mantren. Selbst ohne Yoga.
Du willst Dich nicht mehr verlassen
Einfach, indem Du hinsiehst, was das ist, das in Dir als Du wahrnimmt. Es wird Dir, im Laufe der Zeit, lieb und teuer. Bis Du es schließlich nicht mehr verlassen willst. Weil diese Anwesenheit, die sich immer mehr als Du selbst enttarnt, immer deutlicher zu Erkennen gibt, was ihrem Wesen entspricht und was nicht.
Dann erkennst Du, dass Lieblosigkeit, Angst, Verzweiflung, Wut und Hass mit Dir zu tun haben, schlicht deshalb, weil sie in Dir auftauchen, aber sie haben keine Macht mehr über Dich, weil Du größer bist als alles, was Du wahrnehmen kannst. Das musst Du sein, denn Wahrnehmung ist nichts anderes als die unbegrenzte Wahrnehmungsmöglichkeit, die immer unbegrenzt bleibt.
Was bedeutet das? Es gibt nur einen Namen, der noch deutlicher ausdrücken kann, was Du bist. Und das ist Liebe. Liebe ist die unbegrenzte Möglichkeit vorbehaltlos anzunehmen, was da ist. Alles, was erscheint (das ganze wahrnehmbare Universum) basiert auf ihr. Wahrnehmung, Bewusstsein, Liebe. Drei Worte für ein und dasselbe.
Wenn sich Liebe in Dir erkennt, bist Du nicht mehr verlassen. Dann übernimmt sie das Terrain, das sich zuvor als eng, klein, falsch und ungenügend empfunden hat. Dann erhellt sie sich selbst und will nicht mehr von sich weichen. Sie trägt Dich, küsst Dich, erfährt sich durch Dich und verschenkt und verströmt sich als Du selbst in die (und als die) sogenannte Welt.
Verzweiflung ist, im Licht gesehen, lediglich ein Gefühl, das Dich wieder an Dich erinnern will.
In Verbundenheit, Nicole
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Es erstaunt mich sehr,wie stark man spürt,dass du lebst was du schreibst und deshalb eine Einsicht stattfinden kann was reine Worthülsen niemals vermögen. Herzlichen Dank und liebe Grüße.
Liebe Nicole, ein sehr schöner und ausdrucksstarker Text. Ja, so nehme ich es auch wahr. Und doch gibt es bei mir ein Weiteres: Das ist eine sehr körperliche Wahrnehmung. Ich bin pulsierendes Leben selbst, verbunden mit der Quelle und auch auf dieser Ebene unsterblich, selbst wenn der Körper irgendwan stirbt. Von Herzen, Mona