Wo entsteht wahre Freiheit? - anhören

von Radical Now

Schon als Kind haben mich in den Märchen und Fabeln, die ich verschlang, die alten Weisen interessiert. Diejenigen, zu denen alle anderen kamen, um Antworten zu erhalten. Ich war fasziniert davon, dass sie immer wussten, was zu tun war. Und es beschäftigte mich, warum sie immer abgeschieden wohnten, getrennt vom Trubel der Welt. Zu ihnen musste man pilgern, auf Berge steigen oder weite Wege zurücklegen. Sie standen immer außerhalb der Gesellschaft und kochten ihr eigenes Süppchen.

Warum darf oder soll oder kann man nicht „mitspielen“, wenn man wirklich über alles „Bescheid“ wissen will? Diese Frage blieb mir für lange Zeit unbeantwortet.

Bis ich auf die Gedankenwelt der Spiritualität stieß. Da erkannte ich, dass die Frage falsch war. Dass es kein „Entweder-Oder“ gibt: Entweder ich stehe in der Welt oder außerhalb der Welt. So wurde es mir in den Fabeln präsentiert, und auch in meinem eigenen Leben. Entweder ich spiele mit und interessiere mich für das Spiel, das alle anderen spielen, oder ich stehe außerhalb, schaue zu, spiele mein eigenes Spiel und bleibe einsam.

Es geht nicht um die Teile des Ganzen …

Die Weisen, die mir begegneten, lehrten mich, das Ganze ganz anders zu sehen. Dass die Magier, Hexen und Kundigen der inneren Dinge in den Sagen und Märchen außerhalb des geschäftigen Weltgeschehens stehen, ist nur ein Symbol für den Erkenntnisweg, den man zu gehen hat, wenn man hinter die Kulissen des Lebens sehen will. Wenn man darauf aus ist zu erkennen, was es ist, aus dem alles entsteht und was es zusammenhält. Da geht es nicht um die Erforschung der Teile des Ganzen, sondern um das Ganze an sich.

Sich als spirituell entwickelnder Mensch von der Welt zu entfernen, bedeutet nicht zwangsläufig als Eremit in einer Höhle leben zu müssen. Es bedeutet zu erkennen, dass das, was uns als Welt erscheint, uns erscheint. Wenn ich erkenne, dass die Welt in mir erscheint, dann sehe ich erstmals, dass ich nicht bin, was sie ist. Ich nehme sie wahr. Ich bin die Wahrnehmung der Welt, die mir, der Wahrnehmung, erscheint.

Um zu diesem Erkennen meiner selbst vorzudringen, muss ich mich zunächst von der Welt entfernen. Ich muss mich vom Bad in den Farben lösen, um zu erkennen, auf welchem Trägermaterial sie haften.
Das heißt, ich muss den Weg von der Welt hin zur Wahrnehmung der Welt zurück gehen. Ich gehe von außen nach innen. Ich entferne mich vom Trubel und sehe mal nach, was den Trubel hervorbringt.

Ich bin kein Gedanke …

Dann lande ich zwangsläufig bei meinen Gedanken. Bei den Gedanken also, die ich wahrnehme. Und mir wird klar, dass ich kein Gedanke bin, weil ja mir Gedanken erscheinen. Wenn ich die meiste Zeit von aufgeregten, eingeengten, kritischen Gedanken heimgesucht werde, dann wird die Welt, die mir erscheint, genau so sein. Dann bin ich mit Menschen konfrontiert, die ich nicht mag, die ich kritisiere, von Dingen umgeben, die ich nicht will und von mir weise – und dann befinde ich mich in einem Leben, in dem ich mich eingeengt und unwohl fühle.

Je mehr Gedanken in mir auftauchen, an die ich mich binde, um so wirrer, aufgeregter, unausgeglichener ist die Welt, in der ich lebe. Umso unentspannter bin ich. Umso nervöser und angstvoller reagiert mein System.

Deshalb ist die Erfahrung der Welt abhängig von der Offenheit der Wahrnehmung, in der sie erscheint. Eine offene Wahrnehmung bindet sich nicht an Gedanken. Sie weiß um sich selbst und um die Funktion von Gedanken. Sie entbindet sich aus Enge und Stress, weil sie um sich selbst als Grenzenlosigkeit und Weite weiß. Sie kehrt immer wieder zu sich zurück.

Je gebundener ich an die Sichtweise bin, die ich über die Ereignisse meines Lebens habe, desto problematischer empfinde ich diese Ereignisse.

Diese Gebundenheit existiert so lange, wie ich mir meiner selbst als Empfänger von Gedanken nicht bewusst bin.

Der Trubel dreht sich immer nur um sich selbst

Sobald ich mir dessen aber bewusst werde, wird mir klar, dass meine Lebensqualität nicht von äußeren Ereignissen abhängt. Sie hängt von meinen Gedanken ab, die ich dazu habe – und damit von meiner Bewertung dessen, was mir widerfährt.

Die alten Weisen meiner Fabelwelten, die in ihren Höhlen oder auf ihren Bergen wohnten, konnten nicht im Dorf leben, weil das Dorfgeschehen nicht ihrer inneren Wahrnehmung entsprach. Es entsprach ihnen vielmehr in der Ruhe und Abgeschiedenheit von Lärm zu leben, weil es in ihnen selbst ruhig und still war. Weil die äußere Abgeschiedenheit viel mehr repräsentierte, wer sie im Inneren waren. Nur deshalb konnten sie immer erfassen, was das Problem der Leute war. Der Trubel dreht sich immer nur um sich selbst und ist blind für seine Ursache. Erst wenn ich heraustrete, also nicht mit den Gedankenspiralen identifiziert bin, kann ich sehen, was das Problem ist. Dann bin ich draußen, nicht drinnen.

Wir müssen aber nicht draußen stehen und in der Abgeschiedenheit leben. Wir können in dieser Welt leben, genau so, wie sie ist und doch wissen, dass wir nicht sind, was diese Welt ist. Wissen, dass sie ein Abbild dessen ist, wer wir kollektiv glauben zu sein. Ein Abbild dessen, was wir vorrangig denken und uns vorstellen. Je weniger wir uns vorstellen und denken, um so mehr können wir wahrnehmen und entdecken, was wir sind.

 Der Preis der Liebe …

Das ist die Kunst des leichten, des tiefen, des erfüllten Lebens. Die Entdeckung, dass die Offenheit meiner Wahrnehmung, also die Ungebundenheit an meine Bewertungen der Dinge, eine direkte Enthüllung der stillen, ruhigen, friedlichen Freude in mir zur Folge hat.

Der Preis ist die Bereitschaft, diese Welt einmal vollständig zu verlassen, für die Erfahrung dessen, was sie hervorbringt. Um dann um so freier zurückzukehren. Frei vom Zwang, immer das Gleiche denken zu müssen, das uns in die immer gleichen Gefängniszellen führt. Frei zu sein, als das, was wir unabhängig von unseren Meinungen sind. Das genau ist es, was sich erst in der Meinungslosigkeit offenbart.

Der moderne Weise lebt mitten in dieser Welt, diesem Jahrmarkt der Gedanken und Gefühle, repräsentiert aber das, was ihm selbst samt diesem Trubel zugrunde liegt: Stille, Offenheit und Liebe. Er verkörpert und ist der Frieden und die Schönheit, die lediglich verdeckt werden vom Lärm der Welt, von engen Gedanken, die ewig um sich selbst kreisen, angstvoll an sich festhalten und dadurch nur sich selbst kennen und sehen können. Freiheit ist nicht die Freiheit der Gedanken, sondern Freiheit von Gedanken.

In Verbundenheit, Nicole

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5 Kommentare

  1. Isa

    Sehr interessanter und tiefgreifende Artikel… Aber wenn ich frei von Gedanken bin, hab ich dann auch keine Meinung(en) mehr? Das würde mich interessieren… Ganz liebe Grüße ❤️

    Antworten
    • Nicole Paskow

      Liebe Isa, frei von Gedanken zu sein, bedeutet nicht, keine Gedanken mehr zu haben.
      Du hast nur die Wahl, welchen Gedanken Du folgst und welchen nicht. Einschränkende
      Gedanken sind einfach nicht mehr relevant. Meinungen sind Ideen über eine Sache.
      Sie sind Gedanken ohne Anbindungen an Dich als Gefühl und Erfahrung.
      Meinungen und Diskussionen gehören zusammen. Da trifft eine Meinung auf eine andere
      Meinung und beide versuchen sich voneinander zu überzeugen. Hier kann niemand lernen.
      Wenn Du aber aus Dir selbst heraus sprichst und von einer Erfahrung ausgehst, die Du
      machst oder gemacht hast, dann musst Du niemanden überzeugen. Dann ist das für Dich so
      und das reicht vollkommen. Du machst es eben so. Und ob Dir jemand folgt, ist egal.
      Dann inspirierst Du andere, die es ähnlich empfinden, wie Du. Das geschieht ganz
      natürlich. Resonanz eben. Du brauchst keine Meinung mehr zu „vertreten“. Du bist
      das, was Du bist. Und das reicht. Herzliche Grüße, Nicole

      Antworten
  2. Petra

    Hallo Nicole,

    danke für diesen wunderbaren Text. Mit Worten beschreiben zu können wie das Wahrnehmen, Leben, Erfahrungen, Bewusstsein sein kann, löst bei mir ein Entzücksein aus. Daher bin ich immer sehr entzückt über deine Texte und auch ein bisschen neidisch. Mir ist der Satz eingefallen : Strebe immer danach Frei Für etwas zu sein, nicht Frei Von. Wie wäre es denn mit : Ich bin Frei für Gedanken. Dann hab ich doch wieder die Wahl, welchen Gedanken ich mir vornehme und welchen ich liegen lasse.

    Mit Freude
    Petra

    Antworten
    • Nicole Paskow

      Liebe Petra, danke für Deinen Kommentar! Wenn Du mit diesem Satz „Ich bin Frei für Gedanken “
      in die Möglichkeit der freiwilligen Wahl Deiner Gedanken kommst, dann ist er genau richtig für Dich.
      Ich würde ihn umformulieren in: Ich bin frei mich selbst unbehelligt von Gedanken zu erfahren.
      Wenn ich die Entdeckung des einfachen Daseins mache, das sich nicht definieren muss – und Gedanken sind
      immer Definitionen von etwas – dann verlieren die automatischen Gedanken, die ich immer denken „muss“
      von selbst ihre Glaubwürdigkeit. Und die Wahl trifft sich von selbst. Herzlich, Nicole

      Antworten
  3. Katrin

    Das ist so schön, Nicole! Ich mag deine Foschungsreisen. Und deine leichte, helle Art, zu vermitteln, was du rausfindest. Ich hör dir total gerne zu.

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