Es ist nicht diese eine Blume, die besonders schön ist. Es ist nicht ihre spezielle Form oder Farbe. Es ist einfach nur ihr Blumesein, das in sich selbst ruht. Ungestört von Widerständen gegen ihr Sosein. Das allein macht ihre tiefe Schönheit aus. Und ebenso die stille Schönheit aller Existenz.

Wir tragen kollektiv ein Brett vor dem Kopf, auf dem überall das gleiche steht: „Ich darf nicht sein, wie ich bin“. Wir halten es für die Wirklichkeit, an der wir uns orientieren, weil wir es nicht besser wissen. Weil wir uns für allein stehende Spielfiguren halten und nicht über uns hinaus sehen können. Das macht uns kurzsichtig, einsam, ängstlich und abhängig von der Meinung anderer.

Diese Sichtweise, mit all ihren Regeln, macht das Spiel aus. Ein sehr angespanntes Spiel, ein gefährliches Spiel, wenn man sich darin aufhält. Ein gewalttätiges, wahnsinniges Spiel. Hier kicken wir uns aus dem Rennen, hier schlagen wir uns, hier gibt es Gewinner und Verlierer, hier werden wir wieder eingewürfelt, und hier sterben wir auch.

Es ist kein leichtes Spiel, sondern bitterer Ernst, wenn wir uns nur als die Spielfiguren erfahren. Leicht wird das Spiel des Lebens dann, wenn wir Raum in uns schaffen, um zu sehen, wer wir wirklich sind. Wenn wir erkennen, was es ist, das die Spielfigur überhaupt erst zum Leben erweckt.

„Mensch ärgere Dich nicht“ …

Raum in uns schaffen wir, wenn wir uns entspannen. Wenn wir aufhören uns für das, was wir fühlen und denken, zu verurteilen. Dann können wir überhaupt erst sehen, was wir fühlen und denken. Vorher sind wir viel zu viel damit beschäftigt zu denken und zu fühlen. Und damit die Dinge für so und nicht anders zu halten. Dann spielen wir „Mensch ärgere Dich nicht“ und ärgern uns permanent. Über uns selbst und die anderen. Weil sie sich nicht verhalten, wie wir es wollen. Dann suchen wir Wege zum Ziel und glauben an unser Schicksal, das von Würfeln bestimmt wird, die wir als Spielfigur werfen.

Aber erst am Spielfeldrand beginnt das echte Leben. Dort, wo es keine Begriffe gibt. Dort, wo es keine Spielregeln gibt. Dort, wo wir hinaussehen, als würden wir am Rand des Universums stehen und nicht wissen, was in der Leere liegt, die sich vor uns ausbreitet. Vielen macht das Angst. Manchen aber verursacht es ein inneres Kribbeln. Das ist das Kribbeln des Entdeckers. Alle Entdeckungen, die Du im Außen machst, beginnen innen. Und irgendwann entdeckst Du, dass Außen und Innen lediglich Varianten Deiner Selbst sind. Doch zuvor steht die Entdeckung Deiner Anwesenheit.

Der Anwesenheit in Deinem Leben, die Du nicht wahrnimmst, weil Du lediglich wahrnimmst, was Du glaubst wahrnehmen zu sollen. Der vorschreibende Besserwisser in Dir hat keine Ahnung von Dir. Er hält Dich gefangen in einer Welt, die aus „ich sollte“ und „ich müsste“, die aus „so geht’s“ und „so geht’s nicht“ besteht. Er verhindert Dich und lässt Dich ein unsichtbares Muster entlanglaufen, dessen Gütligkeit Du sehr ernst nimmst.

Heilige Neutralität

Der einzige Mut, den Du brauchst, ist wirklich zu fühlen, was Du fühlst. Und nicht zu denken, dass das, was Du fühlst, falsch ist und anders sein sollte. Wie eine Kamera, die alles aufnimmt, was sie sieht. Sie registriert es nur. Mehr nicht. Ob sie dabei eine schöne Butterblumenwiese sieht oder einen sterbenden Hund, ist für sie nicht relevant.

Es geht um diese Neutralität Deinen Empfindungen gegenüber. Die Wahrnehmung ihrer Anwesenheit ist es, die Dich innerlich entspannen lässt und den Raum für Dich öffnet. Die der Raum selbst ist. Und nein, Neutralität in Dir heißt eben nicht nicht zu fühlen, sondern urteilsfrei zu fühlen, was Du fühlst. Es geht nie um Trennung. Sondern immer nur um die Entdeckung des von Vornherein gegebenen Verbundenseins mit dem, was Du wahrnimmst.

Alles Angespanntsein in Dir beruht auf unbewussten Verurteilungen Deiner Gedanken, Gefühle und dem, was Du als Welt erlebst. Wärest Du bewusst, würdest Du nicht urteilen. So einfach ist das.

Pure geistige Entspannung

Meditation heißt: Ich lasse alles zu, was gerade ist. Frei von Kontrolle. Pure geistige Entspannung. Entspannung heißt: Nichts in mir wehrt sich gegen das, was auftaucht. Nichts wehrt sich, nichts wendet sich ab, nichts versucht etwas abzulenken, umzuformen, zu vergrößern, zu verkleinern, zu lösen oder nicht zu lösen.

Ich überlasse mich vollkommen dem fließenden System, das ich bin. Ich gebe mich mir hin und weiß, dass ich immer richtig über mich informiert werde. So, wie ich spüre, wann ich hungrig oder durstig bin. Ich freue mich, wenn ich mich freue, ich weine, wenn ich weine, ich nehme einfach nur wahr, was in mir vor sich geht und lasse es vor sich gehen.

Mehr nicht. Es gibt keinen Widerspruch in mir zu dem, was auftaucht. Ich fließe mit. Durch dieses Mitfließen, diese Einspruchslosigkeit, entspannt es sich so sehr, dass sich auch jede Verzerrung von selbst entzerrt. Das ist Authentizität. Das ist die Kraft von Bewusstsein.

Problematische Gefühle ohne Widerstand

Jede Traurigkeit, die sein darf, jeder Schmerz, der sein darf, jede Wut, jeder Ekel, jede Scham, die sein darf, entspannt sich in sich selbst hinein, wenn nichts dagegen hält. Wenn Du darin einfach nur präsent bist. Dann ist die innere Trennung  aufgehoben, die der Widerstand gegen die Scham hervorruft. Was dann auftaucht, ist das Sehen der Scham. Und das, was sie sieht, schämt sich nicht. Es nimmt sie einfach wahr. Und macht sichtbar, wie sich Scham anfühlt. Wirklich anfühlt. Ohne Widerstand dagegen.

Das ist etwas ganz anderes. Problematische Gefühle ohne Widerstand zu erleben, lässt uns lediglich das menschliche Gefühlsspektrum erfahren. Eine Modulation unserer selbst. Hier gibt es kein Problem. Die Erfahrung reguliert sich selbst.

Ich erfahre das Gelb der Butterblume und die glänzende Freude, die sie in mir verursacht. In meinem Körper. Dafür erlebe ich ihn: Um zu fühlen, was ich wahrnehme. Wenn sich hier keiner in das, was wahrgenommen wird, einmischt –  einer, der alles besser weiß, der alles lenken will, weil er glaubt zu wissen, wie es anders zu sein hat – dann herrscht hier Harmonie. Von ganz allein.

Ich muss nichts mehr sein

Die Entdeckung von grundlosem Glücklichsein beginnt immer hier. Ohne die nostalgische Verklärung der Vergangenheit oder ihre schuldvoll beladene Aufarbeitung, oder die reine Suche nach mir selbst im ewigen Gestern und nie eintretendem Morgen – ohne all das erkenne ich die reine Schönheit meiner Existenz.

Ich entdecke sie immer wieder neu. So unendlich ist diese Schönheit hinter allem, was sich in mir abspielt, und als alles, was sich in mir abspielt. Ich muss nichts mehr sein. Ich bin einfach. So wie es gerade hier ist. Ich tauche auf in diesem Moment. Als Bewusstsein, das frei von Urteilen wahrnimmt. Und fühlt, was es aus dieser Freiheit zu den wahrgenommenen Objekten fühlt. Und das ist alles. Hier gibt es kein Problem. Hier ist es immer so, wie es jetzt gerade ist. Und so darf es uneingeschränkt sein.

Das Spiel : Ich tu so als ob 

Aber wir spielen ein komisches Spiel. Das Spiel heißt „Ich tu so als ob.“ Als ob ich immer glücklich bin. Als ob ich immer weiß, wo es langgeht. Als ob ich alles im Griff habe. Als ob das innere Klima immer gleich ist. Als ob ich so bin, wie alle mich haben wollen und wie ich gesehen werden will. Wir unterdrücken uns auf so vielen Ebenen. In uns selbst und voreinander. Wenn wir nur erkennen würden, wie hilflos wir in Wirklichkeit sind und wie wenig wir wissen.

Weil es nicht um Wissen geht, um Konzepte darüber, was das Leben ist und wie es funktioniert. Weil es nicht funktioniert. Es folgt sich selbst. In jedem Augenblick. Widerspruchsfrei. Es ist aus einem Guss.

Wenn wir aufhören würden, uns gegen uns zu wehren. Wenn wir uns entspannen könnten in das, was wir authentisch sind – vielleicht hätten wir dann mehr Mitgefühl mit uns selbst und mit allen anderen Menschen. Dann könnten wir gemeinsam darüber hinausgehen. Weil wir bei uns selbst anfangen. Und könnten dann vielleicht sogar über unsere Hilflosigkeit lachen, und dieses Lachen würde uns zeigen, wie herrlich und schön wir im Grunde sind.

In Verbundenheit, Nicole

 

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2 Kommentare

  1. Christine Geiler

    Mein Herz hat gejubelt bei deinen Worten. So klar und doch so einfach während man sie hört. Ich werde sie mir immer wieder anhören bis sie voll und ganz verinnerlicht sind. Hier entsteht Vertrauen und Frieden, ein Frieden der direkt erfahrbar ist. Ich Danke dir fürs tiefe Eintauchen meine Liebe.

    Antworten
  2. Sabina

    Liebe Nicole,

    vielen Dank für Deine wunderbaren tiefen heilsamen Worte!

    Ich empfinde sie als Seelenbalsam…..

    Eine grosses DANKE aus meinem Herzen…..

    herzliche Grüsse
    Sabina

    Antworten

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