
Ich weiß nicht was es ist- anhören
Ich weiß nicht was das Leben ist. Ein Auftauchen vielleicht. Wie ein Taucher aus der Tiefe. Er holt Atem und ist hier. Wie ich. Ich bin hier. In jedem Augenblick meines Lebens. Ich bin im Bett und sehe aus dem Fenster. Dort schneit es. Die Schneeflocken fallen auf grüne Tannen und Thujabäume. Sie fallen vor einem weißen Himmel. Schwerer Schnee liegt auf den Zweigen und Ästen. Es ist schön. Und ich weiß nicht was das ist – Schönheit. Sie ist nichts als eine Berührung.
Eine Zärtlichkeit als frei fallender Schnee. Die Verschwendung von Form. Dieser Reichtum an Fülle in jeder fallenden, schmelzenden, einzigartigen Flocke, die in meinem Blick auftaucht und darin auch wieder untergeht.
In meinem Blick…
Ist das nicht alles, was es von mir gibt? Diesen Blick und diese Berührung durch das, was ich erblicke? Diesen Blick, der durch diesen Körper am Leben erhalten wird. Damit er schauen kann. Ein offener Blick, der alles sehen will, der alles aufsaugt als würde er fürs Schauen bezahlt.
Ich liebe das. Und weiß doch nicht was das ist – Liebe. Ein Wollen vielleicht, wie das eines Kindes, das die Mutterbrust sucht. Ein tiefes, eingewobenes Wollen, das nur um sich selbst weiß und um sonst nichts. Es weiß nichts vom Nichtbekommen. Es weiß nur um jeden Moment seines Daseins als flirrende Lebendigkeit, die nach dem greift, was es will.
Ich stehe in der Küche und spreche mit Jemandem. Ein anderes Ich, das Ich zu sich sagt. Und mich ansieht mit diesem Blick, der sich selbst gilt. Wieso verstehen wir einander nicht? Aber das ist doch ganz klar. Weil wir uns selbst nicht verstehen. Weil es nicht darum geht. Jetzt streift eine Hand durch mein Haar und ich verfolge sie mit meiner Wange, um in die Handfläche zu sinken. Dort ruhe ich eine Weile. In der Hand eines anderen Ichs. Wie schön das ist. Da ist sie wieder, die Schönheit, die keiner versteht. Weil es nicht darum geht.
Sehen und berühren. Kennen wir etwas anderes?
Können wir etwas anderes? Ich küsse die Handfläche und schließe die Augen. Dunkle Küsse in einer Hand, die nach Süßigkeiten riecht. Ich fühle mich wie ein kleiner Vogel in seinem warmen Nest.
Jetzt bin ich in der Kälte. Mein Zug fährt nicht. Meine Zehen fühlen sich wie Soldaten, die von jeder Versorgung abgeschnitten sind. Das tut weh. Sie können sich kaum bewegen. Die Stiefel haben Löcher. Ich bin traurig. Mein Herz ist eingefroren und warme Tränen versuchen es zu schmelzen. Am Bahnhof spielt Musik. Die Flocken Fallen, die Menschen auch.
Ein Abschied für immer. Als ob das geht.
Doch manchmal geht es. Dann brechen Gesteinsplatten riesiger Felsen ins Meer und fallen auf den Grund. Um sich dort für Äonen ungesehen aufzulösen. Im salzigen Wasser aus den ungezählten Tränen der Erde. Dort werden sie nicht mehr gesehen von meinem Blick, der an der Oberfläche sucht, nach seinem Du, das es nicht mehr gibt.
Wer ist es, der den Blick führt? Ach, ich weiß es. Die Traurigkeit. Die Angst, die Wehmut. Die Freude. All die Gefährten, die durch jedes Auftauchen ins Licht drängen. Diese Verbindung von Felsen und Tälern, von Wiesen und Wäldern, von Schluchten und Abgründen ist es, die unsichtbar die Führung besitzt. Die Strippenzieher wirken immer im Verborgenen. Sie zeigen sich niemals.
Sie lassen uns ein Geheimnis stricken, das uns in Atem hält. Bis wir ausatmen. Und nicht mehr unter unserem Namen auftauchen.
Jetzt stehe ich vor dem Spiegel. Wieder sind da Berge und Täler, schmale Flüsse und leuchtende Sonnen. Die mich ansehen, die durch mich hindurch sehen, bis an den Ursprung der Sichtbarkeit. Den es nicht gibt. Ich habe keinen Anfang und kein Ende. Ich sehe durch Trilliarden Spiegel und noch ungezählte mehr in mein einziges Gesicht.
Alles, was ich sehe ist Schönheit. Selbst in den brechenden Augen des Vogels, der aus dem Nest gefallen ist. In dem sich das Morgenlicht spiegelt. Ein letztes Mal in diesem ewigen Blick, der immer nur auf sich selbst gerichtet ist. Der nichts von sich weiß, außer den Willen zu sehen. Immer weiter zu sehen, keinen Halt zu kennen in dieser Lust Dich zu betrachten. Ich weiß nicht wer Du bist und bin es selbst.
Wir sind in den Momenten unseres Lebens zu finden. Nie von uns selbst verlassen. Es gibt kein Außerhalb von Momenten. Alles Fühlen will sich erfahren. Alles Denken will gesehen sein. Von Dir.
Du bist die Erfahrung, die eine unsichtbare Kraft erlebt, die Dir um so mehr Facetten zeigt, wie Du bereit bist zuzulassen. Selbst wenn Du Dich einigelst in Deine Winterdecke, in Deine Höhle zurückziehst und die Bilder der Welt vor der Tür Deiner Aufmerksamkeit stehen lässt. Selbst dann bist Du genau das, was sich hier erlebt. Keine Urteile. Keine Meinungen darüber, kein Wegsehen.
Du bist all das, was sich Dir zeigt. Ich bin all das, was sich mir zeigt.
Jeder Schmerz, jede Trauer, jedes Nichtverstehen, jedes Loslassen, jeder Widerstand. Und wehre mich nicht mehr dagegen. Weil es nichts anderes gibt als das. Jede Vorstellung einer Welt, die woanders ist als ich, ist das Trugbild, das mich daran hindert ganz in mich einzutauchen. Diese Hände zu erleben, diese Augen zu benutzen, dieses schlagende Herz zu spüren. Und diese Luft zu atmen, die durch meine Nase geht. Hier ist alles, was existiert. Diese Einsicht holt mich aus jeder Er-wartung.
Ich warte nicht mehr. Ich lebe.
In Verbundenheit, Nicole
Wenn Dich der Artikel inspiriert hat, freue ich mich sehr über den Ausdruck Deiner Wertschätzung mittels einer Spende. Vielen Dank!
0 Kommentare