Nichts und Niemand kann Dich glücklich machen- Bild

Irgendwann kommt uns das Leben nah. Ganz nah. Dann wird es so eng, dass wir uns zeigen müssen. Dann müssen wir Stellung beziehen und uns entscheiden. Dann können wir uns nicht mehr durch das Leben wurschteln und vor uns selbst im Unklaren bleiben. Entweder ist es eine Diagnose, ein Verlust oder ein anderer direkter Schmerz, der uns erkennen lässt, wie plötzlich und unvermittelt sich alles ändern kann. Oder aber auch ein Virus, der die ganze Welt auf den Kopf stellt.

Bis dahin leben wir im inneren System einer Kontinuität, die uns Sicherheit vorgaukelt und das Gefühl Bescheid zu wissen wie der Hase läuft. Wir leben aus einer wissenden Position heraus und fallen aus allen Wolken, wenn sich etwas ändert.

Weil wir in Wirklichkeit gar nichts wissen. Überhaupt nichts. Das ganze Angstsystem ist dazu da uns vor dieser Erkenntnis zu „beschützen“. Wir wissen nicht, was das Leben ist, weil wir ein Leben leben, das schon vor uns gewusst wurde. Es wurde uns ein System präsentiert, das wir ahnungslos betreten haben, in das wir hineingeworfen wurden. Dieses System ist zu uns geworden. Eine zweite Haut, die nichts von der ersten weiß.

Ohne Angstsystem sind wir ohne Angst

Sie kann nichts von der ersten wissen, weil sie niemals mit ihr in Berührung  kommt. Weil das System aus Ideen und Vorstellungen besteht, aus Denkkonstrukten, die sich für die erste Wirklichkeit halten. Daraus kann es kein Erwachen geben, bis es zu einer Berührung kommt. Und diese Berührung heißt Schmerz, heißt Angst, heißt Verlust, heißt Verzweiflung, heißt Gefühl.

Denn ohne das Angstsystem wären wir ohne Angst. Und was das bedeutet, kann sich die Angst nicht vorstellen. Das können wir erst erfahren, wenn das Leid unter der Angst so groß geworden ist, dass wir genug Kraft haben uns von ihr zu lösen und eine direkte Erfahrung zu machen. Jede direkte Erfahrung ist stärker als alle Befürchtungen vor ihr.

Ich erfahre direkt was es bedeutet jemandem meine wahren Gefühle zu offenbaren, statt in der Erstarrung meiner Ängste vor diesem Moment zu verharren.

Ich erfahre direkt, was es bedeutet zu mir zu stehen und meine Position zu vertreten, statt wieder zu schweigen und aus lauter Angst vor der Reaktion der anderen meine Selbstachtung zu verlieren. Ich erfahre direkt, wie es sich anfühlt krank zu sein und schwach, hilflos und unsicher und welche Möglichkeiten sich für mich aus der unmittelbaren Empfindung ergeben, statt mich dagegen zu panzern und abzuschotten.

Aufhören alles zu wissen

Ich höre auf zu wissen wie etwas ist und wie etwas sein wird und werde lebendig. Weil ich hierher in diesen Augenblick finde und ihn durch jede meiner Poren eintreten lasse, wie er ist. Ich erfahre die Kraft, die mir das schenkt.

Unser angebliches Wissen darüber, was und wie das Leben ist und wie wir es (be)halten können, ist unser Tod. Er führt in eine geistige Starre, die uns jeglicher Bewegungsfreiheit beraubt. Angst kennt nur eine Antwort, nämlich die Flucht vor dem Leben, die Erstarrung im Leben und den Angriff gegen das Leben. Es ist immer die gleiche Antwort: Geh weg von dem, was ist.

Das mag sinnvoll sein, wenn uns ein Auto zu überfahren droht. Aber nicht, wenn es darum geht zu entdecken, was das Leben ist. Dazu müssen wir anfangen uns selbst zu fragen, was das für uns ist, am Leben zu sein. Und zwar ohne einen Seitenblick auf alle anderen. Darauf, wie es die anderen machen, um wieder einen Anhaltspunkt zu finden, genau so, wie es das Diktat der Angst verlangt: Orientiere Dich nicht an Dir, sondern an denen, die wissen, wie „es“ geht!

Das Leben ist Schwingung, das Leben ist Rhythmus, das Leben fließt. Es ist immer in Bewegung und kennt kein Festhalten. Das erkennt jeder, der sich die Mühe macht mal ohne sein Wissen hinzusehen. Still zu beobachten, wie es wirklich ist. Das Leben stellt sich jedem Hindernis. Es ist bereit es direkt zu erleben, ohne sich zu panzern. Es hält nicht einfach die Luft an, damit es in drei Monaten weiteratmen kann, wenn die Gefahr vorüber ist. Nein. Es erlebt, was es heißt ohne Ausschluss von Erfahrungen zu leben. Es vertraut sich selbst vollkommen.

Der Tunnelblick der Angst

Es ist in jedem Moment vollständig anwesend und damit 100% lebendig. Die Frage ist: Wie durchlässig bist Du für das Leben selbst? Und wie sehr wirst Du zurückgehalten von Deinem angeblichen Wissen um Deine Zukunft, von Deinem Wissen über den Tod, von Deinem sicheren Wissen darüber, wie Du etwas erleben wirst, wenn es Dir passiert?

Wie sehr vertraust Du Deinen inneren Ressourcen, Deinen Möglichkeiten, Deiner Flexibilität auf die Anforderungen des Lebens zu reagieren? Und wie sehr beraubst Du Dich der Möglichkeit diese überhaupt zu entdecken, indem Du einfach immer wieder fremden Anweisungen (die nicht außen, sondern innen wohnen) folgst, ohne sie selbst überprüft zu haben?

Angst kennt nur eine Antwort, den Tunnelblick. Links und rechts ist es dunkel. Es gibt nur einen Weg ins Licht. Und wer den nicht verfolgt, der gehört nicht dazu.

Ist das die Idee an der wir uns orientieren wollen? Halten wir für möglich, dass es auch ohne Angst geht? Wem wollen wir mehr vertrauen? Der Angst, die ganz sicher zu wissen glaubt, wie es geht und was passieren wird? Oder dem Leben selbst, in seiner offensichtlich! unüberschaubaren Vielfalt an Möglichkeiten, an Überraschungen, an Unwahrscheinlichkeiten, die sich durch den lebendigen Menschen selbst ausdrücken?
In Verbundenheit, Nicole
Ein Traum von Elias - Nicole Paskow

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6 Kommentare

  1. Sandra Tannenberg

    Da.sprichst du aus, wofür ich keine Worte finde.
    Danke, dass du deine tiefe Einsicht für uns in Worte fasst und zugänglich machst.
    Du machst mir Mut, dem Leben direkt zu begegnen und nicht mehr der.Angst hörig zu sein. Zu erkennen, dass das Angst System Leben verhindert und keine erfahrbare Entwicklung zulässt, ist erschütternd. Angst hält im Bann gefangen. Erkennen löst den Zauber auf. Und dann kommt das Leben nah, und man.fühlt.sich nackt und ungeschützt, aber lebendig!

    Antworten
    • Nicole Paskow

      Vielen Dank, liebe Sandra. „… und man fühlt sich nackt und ungeschützt, aber lebendig“, sagst Du. Ja, das fühle ich auch so.
      Mit dem Zusatz, dass die innere Nacktheit, also die Berührbarkeit für den Augenblick, den Schutz ausmacht. Wenn Dich nichts
      mehr (Kein Gedanke) von dem trennt, was Du fühlst, gibt es nichts, wovor man sich schützen müsste. Du lässt Dich vom Leben leben. Und das ist, was
      führt und weiß und schon das tut, was gut für Dich ist. 🙂 Herzliche Grüße an Dich, Nicole

      Antworten
  2. Ma

    Liebe Nicole,

    Danke für Deinen so wertvollen Artikel.
    Ich stehe auch grad an dieser Schwelle, was mir an einem We mit Luna Müller (Om Schülerin) jetzt ganz deutlich wurde.
    Ich hatte auch nicht verstanden, warum noch immer dieselben Programme laufen, obwohl ich doch schon so viel rund um die Wunde des Kindes gefühlt hatte.
    Es ist so wichtig, dass genau darüber gesprochen wird!
    DANKE!
    Ma

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    • Nicole Paskow

      Liebe Ma, ja, das ist schön, dass Du das sagst. Ich finde auch, über den Erfahrungsweg müsste mehr
      geteilt werden, damit offensichtlich wird, dass es wirklich möglich ist innere Klärung zu erlangen.
      Lunas Arbeit schätze ich auch sehr. Herzliche Grüße zu Dir, Nicole

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  3. Detlef

    Ich fand den Artikel gestern so gut, dass ich mich mit einem Kommentar bedanken wollte, fand aber keine passenden Worte und so war die Seite heute noch geöffnet. Beim kurzen Blick in obigen Text habe ich nur „Denn ohne das Angstsystem wären wir ohne Angst. Und was das bedeutet, kann sich die Angst nicht vorstellen.“ gelesen – und bin damit nach innen gegangen. Die Angst die ich da spürte, war tatsächlich nur ein Etikett, welches ich intensiven Gefühlen übergestülpt habe. Mit der Erkenntnis kann dieses Etikett entfernt werden und es bleiben die Gefühle. Dann ist es recht leicht, die einfach nur zu fühlen. Vermutlich gibt es noch echte Ängste? Solange ich die nicht fühle, kann ich das nicht beantworten. Da ich schon lange an meinen inneren Ängsten dran bin und die einiges erschwert haben, kann das eine Riesenänderung in meinem Leben werden – mal sehen.
    Danke Nicole!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

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    • Nicole Paskow

      Lieber Detlef, vielen Dank für Deinen Kommentar, ich hab mich sehr darüber gefreut! Es ist wunderbar, wenn sich was
      zeigen darf, denn dann kann man sehen! Und wenn man „sieht“, dann kann man tiefer gehen mit dem, was sich zeigt.
      Und das Darunterliegende erforschen und erfahren. Ich freu mich über Deinen Prozess, den Du beschreibst. Herzlich, Nicole

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