
Sie sind mir vor ein paar Jahren begegnet, diese drei Wege, von denen jeder für sich vom tiefsten Gewahrsein des Seins spricht. Und doch wirken sie zusammen als drei untrennbare Aspekte des Einen. Ich möchte von meinem Verständnis dieser Aspekte sprechen, wie sie mir erscheinen und erhebe keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit oder Nähe zu den bereits von anderen Menschen verfassten Auffassungen zu diesen drei Verständnisebenen.
Ich habe Menschen erlebt, die sich als Jnanis im geistigen Raum verloren haben, die das Leben rein konzeptuell erfassen und sich zwar in hochschönen aber unberührten und unberührbaren geistigen Betrachtungen eingefunden haben. Ich selbst kann die Eleganz und Schönheit von hochfeinen Gedanken über das Leben sehr gut nachvollziehen. Die höchsten Ebenen des „Sehens“ haben einen großen Reiz, denn in ihrer Abstraktion sind sie so weit entfernt von dem, was wir als irdenes Leben bezeichnen, dass sie von der höchsten Freiheit als Nichtidentifikation zu sprechen imstande sind.
Diese hohe Schwingung der kreativen Freiheit des sehenden Denkens wahrnehmen zu können, bringt mich in Berührung mit der bestaunenswerten Unfassbarkeit dessen, dass Leben überhaupt als Manifestation erscheint. Und doch ist das höchste geistige Vermögen des Sehenden, das scheinbar losgelöst ist von allen menschlichen Aspekten des Seins, nichts, im Gegensatz zu einem stillen, unbewegten Geist. Letzten Endes wird „hier“ alles Erkennen wieder zunichte gemacht und bricht zusammen in die transparente Stille der reinen Anwesenheit. Der stille Geist ist die höchste Kraft im Universum. Seiner auf sich selbst ruhenden Konzentration, entspringt alles Wahrnehmbare.
Die unsichtbare Kraft des Daseins
Dieser Präsenz gewahr zu sein, als pure Anwesenheit in diesem Augenblick, ist eine Art von Glück, die nicht beschreibbar ist, weil sie der Gedankenlosigkeit entstammt. Wenn jedes Interesse an Ideen verstummt, jedes Interesse an der Identifikation mit „was auch immer“, und damit am Griff der Aufmerksamkeit nach Inhalten, wird es im Inneren still. Es wird auf eine Weise still, die auf einmal glasklar als unsichtbare Kraft des allem innewohnenden Daseins in Erscheinung tritt.
Dieses kraftvolle, reine, absichtslose Dasein ist die Bühne für alles Erscheinende.
Ich weiß, wie sich die Liebe zu Gedanken anfühlt. Ich kenne die immense Sogkraft, die meine Aufmerksamkeit an Inhalte bindet, die sich dadurch zu Realität manifestieren. Ich kenne die Mechanismen, wie sich Wirklichkeit generiert und ich kenne es sehr gut, ihnen zu unterliegen und in einer persönlichen Wirklichkeit zu leben, die mir nicht entspricht. In einer Wirklichkeit, die sich als schmerzvoll empfindet, weil sie nicht im Einklang mit ihrer zugrundeliegenden Wahrheit ist.
Ich kenne aber auch den Geschmack der wahren Freiheit, die in der Möglichkeit liegt, mich als stille, unbewegte Quelle aller Erscheinungen meines Lebens wahrzunehmen. Diese Wahrnehmung immer weiter zu vertiefen, darum geht es meiner Freiheitsliebe.
Dafür braucht sie Bhakti. Reine Hingabe.
Hingabe als Falle?
Ich kenne Menschen, die sich im Dienen vollkommen aufgegeben haben. Menschen, die sich verloren haben im Dienst am „Nächsten“. Die ihre Grenzen überschreiten, ihre Bedürfnisse missachten und sich selbst auf eine Weise missbrauchen, die von einer nicht durchschauten Nächstenliebe zeugen. Dann erscheint das Dienen als Falle, so wie die geistige Welt als Flucht missbraucht werden kann. Als Flucht vor der Stille des Geistes. Die Falle des Dienens lässt den Dienenden von dem wahrhaftigen Nächsten absehen. Der oder das Nächste ist dieser Augenblick in der Präsenz reinen Daseins. Was kann näher sein als das?
Diesem Augenblick meiner reinen Wahrnehmung in Stille zu dienen, so verstehe ich Bhakti. Ich mische mich nicht ein als auswählende Instanz. Ich wähle meine Erfahrungen nicht. Ich erlebe sie. Ich lebe in der vollkommenen Bereitschaft des Erlebens. Das ist die Hingabe, wie ich sie verstehe. Es ist die Hingabe an die wahre Liebe, die der stillen Präsenz selbst entspringt. Es ist die Liebe, die nicht wählt. Es ist die Liebe, die alles trägt. Sei es Trauer, sei es Schmerz, Scham oder Angst …
Wenn ich meinen Schmerz, meine Trauer, meine Scham und Angst trage (nicht er-trage), trage ich auch den Schmerz der Welt, den Schmerz des Menschen an sich. Denn ich erkenne die Quelle des Leids: Fehlende Hingabe in stiller Präsenz. Ich trage mein Menschsein in Liebe. Sehenden Auges und fühlenden Herzens. Hingabe heißt nicht Selbstaufgabe oder Selbstverleugnung. Hingabe heißt: Ich stelle meiner Wahrnehmung keine Abwehr in den Weg. Ich bin bereit alles direkt zu fühlen, was ich bin. Das ist der größte Dienst, den es gibt, denn er befähigt mich auf einer erweiterten Ebene, alles zu fühlen und bringt mich mit allem Sein untrennbar in Verbindung. Jnani und Bhakti: Stiller, berührter Geist.
Die sich selbst entspringende Handlung
Und das bringt mich in die wahre Handlung: Karma.
Der stillen, berührten und dadurch berührbaren Präsenz, die sich in mir, als ich und durch mich erlebt, folgt von selbst die Aktivität, die sich selbst entspringt.
Ich kenne Menschen, die handeln ohne zu denken und zu fühlen. Menschen der Tat, Aktionisten, die sich nicht aufhalten wollen mit Stille und Hingabe. Sie tun, um zu tun, um zu erschaffen, weil sie Ziele erreichen wollen, mit denen sie etwas erreichen wollen. Um etwas zu sein, das sie nicht sind. Um etwas zu spüren, das ihnen fehlt, um etwas darzustellen, was ihnen nicht innewohnt, um zu sein, was sie sein wollen, um nicht zu sein, was sie vermeintlich sind: schwach, ängstlich, hilflos.
Dieses Karma, zieht mieses Karma nach sich. Weil jede Handlung, die keine direkte Folge der Stille und Hingabe an das was wirklich ist, ist, nur ihresgleichen hervorbringt: Unverbundene, zweckgebundene, sinnlose Schöpfungen, die mich binden, belasten und beschweren. Ich mache Dinge, die ich nicht wirklich will, um etwas zu erreichen, was ich nur deshalb will, weil ich nicht bei mir bin.
Angebunden an die Liebe
Echtes Karma ist die „rechte“ Handlung. Die richtige Handlung ist jene, die aus sich selbst heraus entsteht, als direkte Folge meiner Wahrnehmung, meiner dem Augenblick dienenden Haltung. Und das muss nicht zwangsläufig spontan und planlos sein. Ich bin tief (an)gebunden an die Liebe zur Kraft meiner stillen Präsenz und meine Handlungen dienen dieser Liebe. Sie entspringen ihr. Das ist die einzige Richtschnur, die sich von selbst führt.
Ein Mensch, der sich dieser Liebe überlässt, findet immer in die richtigen Handlungen. Und diese sind nicht voraussagbar, sie sind so vielfältig wie es Menschen gibt. Dafür gibt es keine Blaupause, denn hier zeigt sich die wahre Individualität. In der gegenwärtigen Präsenz der tiefen Liebe zum Leben selbst, das ungehindert durch mich fließen darf, zeigt sich die dazu passende Handlung.
So fließen Jnani, Bhakti und Karma für mich ineinander und bilden die tiefe, ungetrennte Dreiheit vom Wahren, Schönen und Guten.
In Verbundenheit, Nicole
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Mmmhhh, da ist etwas tief in Berührung gegangen mit mir:
„die Quelle des Leids: Fehlende Hingabe“
Da wacht etwas in mir auf und es fühlt sich neu und frisch und gleichzeitig irgendwie vertraut an.
Ich habe schon verschiedene Ansichten über den Ursprung des Leids gehört, doch diese spricht nicht zu meinem Intellekt, sondern zu einem tieferen Wissen, dass langsam, freundlich und gütig lächelnd dazu nickt.
Danke Dir, Nicole, daran darf ich ich mich laben!
Von Herzen,
Sabine
Vielen Dank, Sabine für Deinen schönen Kommentar! Herzliche Grüße zu Dir, Nicole
Liebe Nicole, eine dichte poetisch gewaltige Umschreibung von einem Schmecken, wovon ich nur eine Idee habe. Selbst diese Idee wieder loszulassen, tja. Ich danke Dir für diesen Beitrag. Mir bleibt nur das echte Annehmen, von dem was sich mir in diesem Moment zeigt. Da ist eine Wehmut, diese Schranken wahrzunehmen, nicht diesen Durch-Blick zu haben, wie Du. Und da ist Hoffnung, dass Nicht-Identifikation wahrhaft Befreiendes hat. Und es gibt soooo viele Ideen zu Jnani, Bhakti und Karma. Mich macht es demütig, solche Begriffe nur zu benutzen, wenn sich mir im Herzen deren Essenz zeigt. Und Dich haben sie nicht nur besucht, sie tanzen mit Dir. In herzlicher Verbundenheit, Beatrice
Liebe Beatrice, Du schreibst: „Mir bleibt nur das echte Annehmen, von dem was sich mir in diesem Moment zeigt. Da ist eine Wehmut, diese Schranken wahrzunehmen, nicht diesen Durch-Blick zu haben, wie Du.“
Wenn Du ganz in dieses Gefühl der Wehmut einziehst, dann ist da keine Hoffnung, denn die ist immer noch eine Trennung von dem, was ist. Wenn Du sie ganz zu Dir holst, dann landest Du im echten Annehmen und dann ist Wehmut nicht mehr das gleiche Gefühl wie vorher… Und das, was die Schranken wahrnimmt ist genau das, was alles sieht … Vielen lieben Dank für Deine tiefgehenden Kommentare. Herzlich, Nicole
Wunderbare Texte. Der Weg zur Erfühlung will gegangen sein. Die Angst ist noch groß. Dank für die Wegbereitung.