Das Paradoxon vom Handelnden

Wie können wir einen anderen verstehen - anhören

von Radical Now

Viele Empathen haben das Problem, sich nicht abgrenzen zu können. Zu sehr verweilt die Aufmerksamkeit beim anderen und zu wenig beim eigenen Selbst. Das wirft die oft problematische Frage danach auf, wessen Gefühle gerade wahrgenommen werden. Die eigenen Gefühle oder die des anderen? …

Ein interessanter Ansatz ist es zu fragen, ob denn nicht diese Fragestellung selbst das Problem erst aufwirft?

Ich bin der Frage gefolgt, was mich einen anderen Menschen eigentlich verstehen lässt. Warum fühle (denke, sehe) ich, dass ich ein Gegenüber verstehe? Warum fühlt sich dann auch das Gegenüber verstanden? Und wann ist es nicht so?

Entkrampfte Wahrnehmung

Die Antwort, die sich mir gezeigt hat, hat viel mit Wahrnehmung zu tun. Wenn ich ganz entspannt und offen bin, fühle ich „mich“ nicht.
Das kann eigentlich nur bedeuten, dass kein Widerstand auftaucht, den ich dann als mich selbst wahrnehmen könnte. So wie eine Begrenzung – wie ein Rahmen etwa ein Bild deutlicher hervorhebt. Ich bin so offen, dass ich keine Begrenzung wahrnehme, also auch kein festgefügtes eigenes inneres Bild (eine Meinung).

Ich kann auf diese Weise vollkommen frei und widerstandslos den Ausführungen eines anderen folgen. Es ist dann so, als würde dieser in „mich“, als wahrnehmenden Raum, mit seinen Worten hineinmalen.

Je offener ich also bin, um so deutlicher nehme ich das wahr, was der andere sagt. Und so „sehe“ ich, was er gemeint hat. Es ist, als würden wir zusammen ein Bild anschauen. Im Geist.

Und ich bestätige seine Wahrnehmung, indem ich deutlich wahrnehme, was er spricht. Und weil wir in dieselbe Richtung schauen, kann ich ihm auch meine Wahrnehmung widergeben, die im Einklang mit seiner Wahrnehmung ist. So können wir beide eine Art Welt betrachten, die in diesem Augenblick wahr ist. Und das ist immer! Ein schönes Erlebnis.

Wen will der Überzeuger überzeugen?

Das Problem entsteht genau dann, wenn ich will, dass der andere etwas versteht, was mit seiner Wahrnehmung nichts zu tun hat, sondern mit meiner. Dann will ich ihn überzeugen, dass meine Wahrnehmung die richtige ist. Und damit will ich ihn dazu zwingen, Dasselbe zu sehen, wie ich. Aber das ist unmöglich und zeigt sich in Form von Miss-verständnissen. Wir verschließen uns einfach, wenn jemand auf eine Weise mit uns spricht, die deutlich macht, dass dieser Jemand etwas von uns will.

Wenn mir also klar wird, dass ich dann Verständnisprobleme bekomme, wenn der Raum, der ich bin, durch einen persönlichen Willen eingegrenzt erscheint, kann ich besser verstehen, wann es zu Missverständnissen mit anderen kommt.

Das ist einfach so. Ego-istisch bedeutet selbst-bezogen. Das heißt, die Wahrnehmung ist auf einen engen inneren Kreis eingegrenzt, der als Wahrnehmungsraumbegrenzung fungiert. Und die Aufmerksamkeit ist darauf „geeicht“. Deshalb wird eine starke Trennung zu allem empfunden, was außerhalb dieser mentalen Begrenzung erscheint. Die Wahrnehmung ist nicht offen (unbegrenzt) genug, um mehr als das „eigene“ wahrzunehmen. Man lebt quasi in einem eigenen Hexenkreis.

Wenn Offenheiten tanzen …

Je selbstbezogener man ist, umso sicherer erscheint man natürlich in den Augen der Außenwelt. Sicher wirken kann ja nur jemand, der alles, was unsicher macht (die Gefühle und Gedanken anderer Menschen) aus seiner, auf sich konzentrierten, Wahrnehmungswelt raushält, * indem er dem keine Aufmerksamkeit schenkt. Und alles, was unwichtig ist, nehmen wir nicht bewusst wahr. Deshalb gibt es Empathen und Egoisten. Die einen sind zu sehr beim anderen, die anderen zu sehr bei sich selbst. So geht keine Kommunikation.

Wenn aber zwei Offenheiten tanzen, dann sehen sie etwas, das sie gemeinsam erschaffen. Die eine Offenheit erscheint als Reaktion auf die andere Offenheit und irgendwann weiß man gar nicht mehr, wer angefangen hat, weil der Tanz so harmonisch fließt.

Reine Information

Werner Herzog hat in seinem Film „Wovon träumt das Internet“, eine Sequenz, die das sehr schön illustriert. Da erklärt jemand das Prinzip selbstfahrender Autos. Sie sind an ein selbstlernendes System angeschlossen. Jedes Auto, das einen Unfall baut, gibt alle Daten sofort an die anderen Autos weiter. So wird sichergestellt, dass dieser Fehler nie mehr passieren wird, weil nun alle informiert sind.

Das geht nur, wenn keine Widerstände in der Kommunikation stattfinden. Und Widerstände sind immer „Ich“ – Eingrenzungen. Wenn das Unfallauto seine Info für sich behalten hätte, weil es sich für sein Verhalten z.B. geschämt hätte, dann würde der Unfall auch einem anderen Auto passieren und wir hätten wieder Ärger.

Die Priorität der Aufmerksamkeit geschieht von selbst

So ist es einfach bei uns Menschen auch. Je weniger wir auf den eingegrenzten Bereich der„eigenen“ Gedanken und Gefühle bestehen, um so besser läuft die Kommunikation. Weil wir dann alle Gefühle und Gedanken, die wir wahrnehmen, als einfache Information empfangen. anstatt sie mit einer „eigenen“ Wahrnehmung abzugleichen und logischerweise als „anders“, und sie wegen dieser Bedrohlichkeit immer als falsch, zu verwerfen.

Es gibt keine falsche Wahrnehmung. Alles, was ein anderer Mensch wahrnimmt, ist für ihn so, weil es wahrgenommen ist. Der Film ist schon da. Das ist das Absolute, das sich in allem ausdrückt. Die Erlebenswelt jedes Menschen stimmt … ist stimmig, weil sie wahr(genommen) ist. Aber es gibt keine wahre Wahrheit. Wenn wir das wissen, gibt es doch eigentlich keinen Grund mehr, eine Erlebenswelt als wahrhaftiger zu bestimmen, oder? Selbst wenn es die „eigene“ ist.

Insofern müsste sich der Empath nicht mehr fragen, wessen Gefühle er gerade erlebt, weil er sie erlebt. Ganz egal, ob es seine oder die des anderen sind. Es sind erlebte Gefühle. Also hat er sie. Ob er sie will oder nicht. Insofern ist das die Information für ihn: dieses nicht zuordenbare Gefühl fühlt sich hier.

Und wo ist dann hier? Tja … Wer mir diesen Ort bestimmen kann, der bekommt einen Radical-Orden.

Wie können wir also einen anderen wirklich verstehen? Indem die „Ich-begrenzung fällt (Ent-grenzung oder auch Ent-spannung) und weder Ich noch nicht-Ich eine Rolle spielen, sondern einfach nur Offenheit herrscht für alles wahrgenommene. Die Priorität der Aufmerksamkeit zeigt sich darin von ganz allein. Wenn keiner mehr lenkt, fahren wir von ganz allein und verstehen uns blendend. Versprochen.

 

* Es gibt noch eine zweite Möglichkeit, wie jemand sicher wirkt: Er ist einfach er selbst. Er ist nicht ein Jemand, der sich seiner sicher ist, sondern eher ein Niemand, der sich selbst nicht definiert. Es gibt keine umfassendere Sicherheit.

Absolut Karl Renz Videoreihe

Wenn Dich der Artikel inspiriert hat, freue ich mich sehr über den Ausdruck Deiner Wertschätzung mittels einer Spende. Vielen Dank!

5 Kommentare

  1. Christoph T

    Wow, Nicole, das ist eine krasse Perspektive. „Wenn wir das wissen, gibt es doch eigentlich keinen Grund mehr, eine Erlebenswelt als wahrhaftiger zu bestimmen, oder? Selbst wenn es die „eigene“ ist.“ Das ist sehr herausfordernd für meinen Verstand. Ich habe den Eindruck, Du wirst auf Deinem Weg immer radikaler. Du hat prinzipiell völlig recht. Und ich sehe, dass das größte Hindernis, mich mit anderen zu verstehen, oder andere zu verstehen meine Icheingrenzung ist. Doch wie kann ich sie überwinden? Danke für diesen herausragenden Text. Christoph

    Antworten
    • Nicole Paskow

      Hey Christoph, ich werde nur klarer, das ist alles. 🙂 Wie kannst Du Deine Icheingrenzung überwinden? Indem alle Widerstände dagegen fallen. Sei das, was sich zeigt. Ohne Wenn und Aber. Fertig. :-*

      Antworten
  2. Lena

    Super Text, Nicole! Ich bin selbst Empathin und weiß, wovon Du sprichst. Die Gefühle einfach da sein zu lassen, ohne zu fragen, ob sie meine sind oder die der anderen, entspannt mich irgendwie, als wär ich dann nicht mehr so fixiert auf diese zweiheit. Mir hat es eh n ie geholfen herauszufinden, ob alles aus mir kommt oder nicht. Gefühl ist Gefühl … Danke dir …

    Antworten
  3. Christine Geiler

    Ich bemerke wenn sich zwei Wahrnehmungsräume überschneiden, wenn 2 zu eins werden ist große Offenheit anwesend, das kann man direkt fühlen. Da sprudelt es vor gegenseitiger Inspiration. Es gibt keine Gedanken des gegeneinander nur Schnittstellen. Selbst Zeit wird hier nicht wahrgenommen nur Bereitschaft und hier sein. Wenn ich das dann hinterfrage, hat das scheinbare Gegenüber das auch so empfunden. Ich kann dann kaum noch erklären wie es vonstatten gegangen ist, es ist leicht und erfüllend, sehr natürlich. Wie eine liegende acht, die sich diesem Moment hingibt und diese Hingabe erlebt.

    Antworten
    • Nicole Paskow

      Vielen Dank, Christine, für Deine Beobachtung. Ja, ich glaube, wir kennen das alle! Oft passiert es einfach so, unbewusst, nebenbei oder auch
      überraschend. Und spannend ist es, wenn man experimentiert und bewusst in der Offenheit bleibt, auch wenn das Gegenüber unter Stress steht.
      Dann empfangen sich „Stressgefühle“, die dann durchlaufen können, anstatt dass irgendwer daran hängenbleibt und den Informationsfluss unterbricht … 🙂
      Geht natürlich nur dann, wenn es einem bewusst wird, was dann der Fall ist, wenn man selbst energetisch fit ist. LG Nicole

      Antworten

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.