Das Paradoxon vom Handelnden

Erwachen und erwachsen werden - anhören

von Radical Now

 

Aus absoluter Sicht ist alles so, wie es ist. Es gibt weder eine Entwicklung noch ein kontinuierliches Leben in der Zeit und damit weder eine Expansion, noch eine Stagnation. Kein Kommen, kein Gehen. Es gibt nur diesen einen Augenblick, der unauffindbar ist, in dem alles ist, was ist, der keine Dimension und somit keine Richtung hat. Es gibt nur das Wissen um das, was ist. Alle Erfahrung unterliegt einem Weder-noch und gleichzeitig einem Sowohl-als auch.

Diese Paradoxien eröffnen sich jenem Geist, der unabhängig geworden ist von den in ihm auftauchenden Strukturen – was an sich schon eine Paradoxie ist. Wie kann etwas erst werden, wenn es nur jetzt, im Moment der Erfahrung ist? Dies zu erfassen erfordert eine andere Sichtweise auf das, was wir Leben nennen, als wir gewohnt sind.

Doch um aus der Gewohnheit der kontinuierlichen Wahrnehmung auszutreten, müssen gewisse Loslösungsprozesse stattgefunden haben. Um etwas anderes wahrzunehmen, als wir üblicherweise wahrnehmen, muss einfach eine gewisse Bereitschaft da sein, den inneren Resetknopf zu drücken und – so frei von Vorerfahrungen wie möglich – zu sehen, was ist.

Die tiefste geistige Entspannung

Dafür braucht es eine geistige Entspannung, die über das übliche Maß von Wohlbefinden hinausgeht. Es handelt sich um eine Entspannung, die viel mehr mit Offenheit zu tun hat als mit wohlwollender Zuwendung. Denn jede wohlwollende Zuwendung kann auch in Verschlossenheit umschlagen. Einfach, weil das Eine das Andere immer im Schlepptau hat.

Damit der absolute Standpunkt deutlich wird und sich auch als Einsicht umsetzt und nicht nur, im besten Fall, mentale Spielerei und im schlechtesten Fall Selbst- und Weltflucht bleibt, ist es notwendig sich intensiv mit seinem „irdenen“ Menschsein zu befassen. Wir müssen Erde fressen, bevor wir den Luftzug des Himmels in uns spüren. Doch viele sind nicht bereit diesen Job wirklich zu tun.

Es scheint natürlich einfacher, sich die Transzendenz des Lebens vorzustellen und von einer göttlichen Erlösung zu träumen, nachzubeten, was die erleuchteten Meister zu sagen haben und sich bis in alle Ewigkeit etwas vorzumachen. Anstatt den Dreck seiner dunkelsten Emotionen zu fressen und blind und ohne Vorgaben beharrlich durch den Tunnel der eigenen Verzweiflung zu waten. Ohne zu wissen, ob das Licht am Ende zu sehen sein wird, oder nicht.

Nur die Harten kommen in den Garten

… Und das gilt auch für die Erleuchtung, die schon immer ist, war und sein wird, ob wir glauben im Garten zu sein oder nicht.

Um in den freudvollen Genuss jener Gleich-Gültigkeit, die allen Erscheinungen zugrunde liegt, zu kommen, die der absolute Standpunkt verspricht, müssen wir nunmal zuerst an unseren kindlichen Träumen scheitern.

Das geht nur bei sehr, sehr Wenigen wie aus dem Nichts heraus, per Knopfdruck, plötzlich und als innere Explosion der in sich selbst gefangenen Ich-Illusion. Und auch die haben und hatten es nicht leicht diese Plötzlichkeit in ihr zwangsläufig energetisches, zeitgebundenes Dasein zu integrieren.

Viel häufiger findet die sanftere Variante des Erwachens statt, die kontinuierliche, schrittweise Eröffnung als veränderte Wahrnehmung im Kontext der Zeit.

Und auch die ist nicht unbedingt leichter. Zumal es ihr auch an der Heftigkeit der erfahrenen Öffnung fehlt und somit an einer genauen Festlegung der „Wende“. Es ist ein langsames Erkennen, dem viele dunkle Stunden der Orientierungslosigkeit vorausgehen.

Zum Menschssein erwachsen

Erwachen ist, im tiefsten Grunde, mit echtem Erwachsenwerden gleichzusetzen. Wann können wir denn wirklich einen Wunsch, ein Gefühl, ein Träuma, einen Menschen, eine Idee, ein Selbstbild, einen tiefen Glaubenssatz loslassen? Im Grunde erst dann, wenn er verschwindet. Und wenn wir genau hinsehen, verschwindet er dann, wenn das, was festgehalten wurde, nicht mehr relevant ist. Und wann ist es nicht mehr relevant?
Wenn es vorbei ist.

Wenn darin nichts mehr liegt, was von Belang ist. Und das wiederum ist dann der Fall, wenn es ausgelebt, ausgekostet, fertig und vollständig zu Ende erlebt ist. Wie ein alter, geschmackloser Kaugummi, der nur noch unangenehm ist, so unangenehm dass man ihn loswerden will. Und dann spuckt man ihn einfach aus und vergisst, dass er jemals
existiert hat.

Genau so, wie einen die Themen, die in der Kindheit so wichtig waren, als Erwachsener nicht mehr interessieren, weil sie nicht mehr relevant sind. Wir sehen uns keine Bilderbücher mehr für Dreijährige an, weil wir lesen können. Und da ist auch kein Bedauern über den Verlust des Bewusstseins eines dreijährigen Kindes.

Der Widerstand schmilzt dann, wenn kein Interesse mehr an ihm herrscht

Doch der Weg in die Belanglosigkeit dessen, was jetzt gerade noch so ungemein intensiv, herausfordernd, unmöglich, unlösbar und unvorstellbar ist, kann lang sein. Je nachdem, wie sehr wir uns dagegen wehren genau hinzusehen, was das ist, was festgehalten wird. Wenn wir uns dagegen wehren im Feuer der Erfahrung stehen zu bleiben, was wiederum als immer wieder erfahrene Endlosschleife unserer unbeliebtesten Emotionen wahrnehmbar ist. Und wir wehren uns so lange wir uns unsicher fühlen, ob wir verbrennen oder nicht.

Da kommt die Idee eines absoluten „Es ist, wie es ist“ gerade recht und wir lehnen uns zurück und lassen erleichtert alles fahren. Bis es sich (unweigerlich) wieder zusammenzieht. Und es wieder von vorne losgeht.

Weil wir eben nicht durchgegangen sind, sondern einen einfachen Weg finden wollten, der so nicht auffindbar ist. Es gibt kein Entkommen. Wir können nur das leben, was wir sind. Und wenn wir durch Glaubenssätze (er)leben, (was daran erkennbar ist, wie konfliktreich unser (Er)Leben ist) dann haben wir den Job, diese Glaubenssätze auf allen Ebenen unseres Daseins zu erkennen. Sofern wir wirklich und wahrhaftig nach Befreiung dürsten. Wir müssen sie so deutlich erkennen, dass sie vollständig gesehen werden. In der vollständigen Sicht schmilzt jeder Widerstand gegen das Wahrgenommene.
Und es erscheint als es selbst. Als pure Trauer, die nichts als eine fließende Energie ist. Als pure Wut, die nichts als Lebenskraft ist, als pure Angst, die nichts als eine lebendige Vibration des Daseins ist …

In jenem stillschweigenden Wahrnehmungsraum, der wir schon immer sind, darf alles Wahrgenommene sich selbst gemäß erscheinen. Und darin liegt einfach kein Problem. Auch wenn die Gleich-Gültigkeit so oft missverstanden wird als: „Ich muss allen Ereignissen und Menschen in der immergleichen Stimmung begegnen.“ Im Gegenteil, denn auch hier zeigt sich wieder die subtile Totalität der Gewohnheit sich selbst zu übersehen.

Die Gleichgültigkeit bezieht sich auf die eigene Erfahrung. Wenn kein Wehren mehr gegen die wirklichen Gedanken und Gefühle, Impulse und Empfindungen stattfindet, ist alles von gleicher Gültigkeit und damit wahrgenommen, wie es ist. Kein widerstrebendes Ich stellt sich mehr als Schranke gegen das, was ist. Und das, was ist, ist die aktuelle Erfahrung. Egal, wie sie beschaffen ist. Sie ist immer tragbar, weil der unsichtbare Wahrnehmungsraum unendlich viel größer ist, als das wahrgenommene Ereignis.

Das Ende des Krieges

In der Transparenz der Wahrnehmung zeigt sich schon immer alles wie es ist. Doch was wir dominant erfahren, ist unsere Reaktion darauf, statt das, was ist. Um diese Reaktion geht es, die nichts als ein Widerstand gegen die Wahrheit dessen ist, was geschieht.

Der Krieg gegen uns selbst und unser rein irdisches Dasein als gewöhnlicher, verletzbarer, hilfloser Mensch hört dann auf, wenn dieser Mensch vollständig empfangen wurde. Von sich selbst. In all seinen Facetten. Doch es ist das Schwerste sich selbst so auf den Grund zu schauen, dass nur noch das Schauen übrig bleibt und das Gesehene sich darin auf eine Weise erlöst, die keine Fragen mehr offen lässt.

Das haben wir nicht in der Hand. Das geschieht oder nicht. Aber wenn der Ruf hörbar ist, wenn das Feuer brennt, wenn der Wunsch zu einem Flächenbrand erwächst, dann gibt es keinen anderen Ausweg als die Manifestation dessen, was das Gewollte ist. Der Wollende stirbt in den Willen hinein, der sich über alle Hindernisse hinwegsetzt.

Das ist ein kosmisches Gesetz.

Die kindlichen Bedürfnisse nach Sicherheit, Liebe und Gesehenwerden müssen durchdrungen sein, bevor sie von selbst fallen. Wir können sie nicht umgehen oder frühzeitig aus dem Raum erklären. Der direkte Weg führt durch sie hindurch. Im urteilsfreien Selbstempfang meiner totalen Kleinheit, meiner Unwürdigkeit, meiner tiefen, traumatischen Selbstverachtung begegne ich der Todesangst. In ihr stehenzubleiben, ihr nicht auszuweichen, erlöst mich von dieser zutiefst menschlichen Angst, Wert- und Sinnlosigkeit. Sie führt mich in die Weite meiner Existenz, in die Erlösung von einer Selbstbezogenheit, die erst ihr eigenes, problematisches Dasein kreiert.

Ein Trugbild, das sich selbst entlarvt

Eine Illusion, der man irgendwann wirklich nicht mehr glaubt, wie eine Fata Morgana, die beim Näherkommen eindeutig als Trugbild erkannt wurde. Man kann dann nur noch staunen, wie man so lange glauben konnte, das sie wirklich ist. Dann beginnt ein Leben unter anderen Vorzeichen. Ein erwachsenes Leben als Mensch, der seiner Natur gewahr ist und damit nicht mehr den zwanghaften Reaktionsmustern seines eingeschränkten Bewusstseins erlegen ist. Unendlich mehr Handlungsspielraum, Lebensqualität, Schönheit und Leichtigkeit. So viel mehr Liebe und Gelassenheit. Vor dem Hintergrund eines unsagbaren Mysteriums, dessen Geheimnissen man sich, von sich selbst als Kleingeist ungestört, widmen kann. Und eine neue Reise beginnt …

 

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2 Kommentare

  1. Ingo

    Mal wieder ein Meisterwerk jeder Satz ein einmaliges Kunstwerk der Beschreibung echten Seins. Mir kommen manchmal einfach die Tränen, weil es so wahr, so eingehend und so einfach, aber nicht leicht ist, es auch zu leben. Wunderschöner Text, den ich sicherlich auch ein drittes und viertes Mal lesen werde. Danke

    Antworten
    • Nicole Paskow

      Vielen lieben Dank, Ingo für Deine so schönen Worte! 🙂 LG Nicole

      Antworten

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