Der stillfreudige Raum - anhören
Warum suchen Menschen nach dem Erwachen? Nach der Erleuchtung? Man kann sagen, dass ein glücklicher Mensch nach gar nichts sucht. Er ist einfach das, was er ist. Also entstammt die Suche einer Unzufriedenheit. Es ist der Missklang der uns losgehen lässt, um Ausschau zu halten nach etwas, das diesen Missklang in einen Wohlklang wandelt, in eine göttliche Melodie, die uns mitnimmt und einsinken lässt, in ein Sein ohne Dissonanz.
Was war es, das mich loslaufen ließ? In meinem Fall war es eine Witterung. Es war die Ahnung einer ungeheuerlichen Möglichkeit. Leiden und Freuden wechselten sich in meiner Umgebung und in mir selbst regelmäßig ab. Von Frieden keine Spur. Menschen haben Konflikte. Das lernte ich von klein auf in absoluter Zuverlässigkeit: Menschsein heißt Leiden.
Das Leben ist schwer. Es ist nicht leicht. Man muss um alles kämpfen. Ums Überleben, um die Liebe, um die Gesundheit. Was ich erlebte, war der rechthaberische Kampf gegen die Ansichten des anderen und die Waffenruhen dazwischen. Das Suchen nach Schuldigen, nach Lösungen, nach der Hoffnung auf ein besseres Leben. Der ganz normale Wahnsinn eben.
Die Suche nach dem letzten Wissen
Ich suchte schon früh in den Fabeln dieser Welt, in den Märchen und Geschichten von Weisen und Zauberern, die immer alles zu wissen schienen. Ich suchte in allen Gattungen der Literatur. Doch dann besuchte mich die Psychologie mit ihrer Erforschung des Unbewussten, später die Philosophie mit ihren Fragen nach der Existenz und schließlich landete ich bei der indischen Spiritualität, die mir zum ersten Mal die Idee schenkte, die grundsätzlichste Frage überhaupt zu stellen: Wer bin ich?
Diese Frage wird so lange gestellt, bis keine Antwort mehr kommt. Und das kann sehr, sehr lange dauern, wenn die Welt es geschafft hat, große und tiefe Weltkonzepte in den Fragenden zu pflanzen. Dann müssen ganze Wälder voller Ideen und Verstrickungen fallen, bis der Boden frei ist von alten Wurzeln. Bis wirklich aufsteigen kann, was da ist.
Und was entdecke ich? Diese unsagbare Stille, die hinter allen Antworten liegt, ist so unendlich satt und voll von sich selbst, dass alles, was in ihr auftaucht, aus sich selbst heraus keine Relevanz hat. Was nicht bedeutet, dass es keine Bedeutung hat. In der Stille jenseits der Antworten existiert keine Frage mehr nach Bedeutung oder nicht Bedeutung. Das, was geschieht, wird in seiner Eigenart wahrgenommen. Wie die Rose, wie die Bäume, wie der Hund, der mich gerade anschaut.
Frei, leicht und beweglich
Stille ist die Freiheit zu sein, was sie ist. Darin existiert keine Definition. Was sie unendlich beweglich und offen macht. Sie ist es, die als Ich erscheint und als Du. Und in Wirklichkeit nur als ein Ich in jedem lebendigen Wesen. Sie nimmt jede Form an und formt jedes Wort, jeden Gedanken, jedes Gefühl, jede Handlung.
Die ungeheuerliche Möglichkeit, die ich in mir finde, ist die Freiheit alles, was ich wahrnehme, es selbst sein zu lassen. Vom kleinsten Gefühl, das in mir auftaucht, von der subtilsten Empfindung, bis zum intensiven Schmerz, den anderen Menschen, Ereignissen, Situationen.
Es selbst sein zu lassen bedeutet, es nicht mit einer eigenen Meinung anzutasten. Es nicht zu beurteilen und mich dadurch nicht darin zu verstricken. Es ist die ungeheuerliche Möglichkeit das Stillsein als ewige Anwesenheit zu erkennen und auch zu fühlen und tief einzulassen in diesen Organismus und mich immer weniger davon abzuwenden.
Da geschieht etwas …
Das, was ich vorher als Freude empfunden habe, ist nun keine mehr. Weil sichtbar wird, dass diese Freuden nur Vergnügen waren und Vergnügen sich als etwas Künstliches, etwas im Grunde Verzweifeltes entpuppt, das dem Leiden sein spärliches Fruchtwasser entlockt.
Ja, da geschieht etwas. Eine allem immanente Freude steigt auf, ganz leise, ganz zart. Jedes Gefühl wirkt schon grob dagegen. Es gleicht eher dem Flügelschlag des Schmetterlings, so flüchtig, so leicht. Eine Selbstgenügsamkeit, die aus jeder Zelle steigt, als würde jede ihrer Poren in Licht getränkt.
Was ich sehe: Konflikte. Krieg. Leiden und Verzweiflung sind sehr grobe Formen der Wahrnehmung. Sie entstehen dann, wenn die Stille sich zu etwas anderem verpuppt. Wenn sie mit offenen Augen ihre Augen schließt und ihre eigene Dunkelheit erfährt. Sie erfährt sich darin als die eigene Abwendung von sich selbst.
Deshalb ist der Weg, die Augen wieder für sich selbst zu öffnen, der Weg des Stillwerdens. Des Einsinkens in das, was sieht. In den bewussten Raum, der sich öffnet, wenn alle Antworten ausgesprochen sind. Es ist diese Erforschung des Loslassens absolut aller Vorstellungen und Ideen, die glauben, etwas wäre aus sich selbst heraus wirklich.
Es ist nicht das Leiden, das mich in diese Forschung zieht, in dieses Sinken fallen lässt. Es ist die Ahnung der tiefen, endlosen Freude, die mich in ihre Arme zieht, je weniger ich weiß, je stiller ich werde, je leichter ich den Dingen ihren eigenen Lauf lasse …
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Es ist nicht das Leiden, das mich in diese Forschung zieht, in dieses Sinken fallen lässt. Es ist die Ahnung der tiefen, endlosen Freude, die mich in ihre Arme zieht, je weniger ich weiß, je stiller ich werde, je leichter ich den Dingen ihren eigenen Lauf lasse …
… sehr schön, ganz wunderbar ausgedrückt, liebe Nicole. … es ist genau das, was mich motiviert, wach zu bleiben in jedem Moment meines Lebens… es ist nicht nur eine Ahnung, sondern auch immer wieder eine lebendige Erfahrung.
Das freut mich, Johannes! 🙂 LG Nicole
Ich kann im Moment einfach nur sagen, dass ich tief traurig bin darüber was eine meiner Freundinnen grad durchmacht durch die Chemotherapie…und welchem Elend ich auf der Krebsstation begegnet bin. Ich fühle mich einfach nur elendiglich…unvorstellbar wie’s ihr wohl geht….
Das Leben ist echt hart.
Menschsein ist wirklich nichts für Feiglinge! wie du so sagst Nicole. Das Leben gleicht in der Tat mehr einer Intensivstation denn einem- suggerierten- Honigschlecken.
ja! wenn ES mich nicht lässt, den Dingen ihren Lauf zu lassen..so fühl ich mich komplett von Gott verlassen.
Doch DAS nimmt’s unergründlich leicht: Die größte Schwere nimmt’s völlig unbeschwert und gelassen.
Soll/kann DAS einer fassen?
Der’s fassen möcht muss sich verduften…dann bleibt der Duft von absolutem Geschmack, der nie mehr das Weite sucht, sondern ewig in sich ruht.
Nun bin ich gefasst und still inmitten vom ganzen Müll.
DAS ist wohl unbedingt still!!
Liebe Maja, Du schreibst: „Die größte Schwere nimmt’s völlig unbeschwert und gelassen.“ Da würde ich gern widersprechen.
Und einfach sagen: Die größte Schwere nimmt`s wie es sie nimmt. Wenn Schwere da ist, ist Schwere da. Wenn Leichtigkeit da ist,
ist Leichtigkeit da. Derjenige, der sich gegen die Tränen wehrt, gegen das Gefühl, gegen das Bedauern, oder gegen die Freude, oder
gegen den freien Ausdruck der Feier, derjenige ist nicht mehr da, wenn das Einsehen ein Einsehen hat. Wer will sich denn gegen
den inneren Ausdruck stellen, wie er gerade ist? Nur der innere Widerstand, der einer Vorstellung folgt …
Sei traurig, wenn Du traurig bist und fröhlich, wenn Du fröhlich bist und
mach Dir keine Gedanken. Das Leben ist immer ein Kommen und Gehen. Wenn das gewiss ist, kann kommen, was will sowohl als Ereignis als auch als Reaktion. :-* LG Nicole
DAS wirkt einleuchtend. 😊